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Schnee von Gestern

Autor: F.G. Klimmek
Taschenbuch
380 Seiten
ISBN: 3-937001-13-1
Preis: 9,50 Euro (inkl MwSt.)

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Klappentext:
Kein Geld der Welt garantiert das ewige Leben. Deshalb müssen irgendwann sogar Millionäre sterben. Weil dies aber bei drei Kameraden auf besonders brutale Art geschieht, zittern die greisen Mitglieder des exklusiven holländischen Yachtclubs nicht nur aus Altersgründen.

Abhilfe soll Karl-Heinz Schmidt schaffen, der deutsche Frührentner mit dem dicken Bauch und den dünnen Haaren, der sich schon bei den mörderischen Vorkommnissen um Vogelsplein so gut bewährt hat.

Selber eingebettet in Wohlstand und die dazugehörige Langeweile, geht Schmidt mit wenig Begeisterung an die Sache heran, der er keine große Bedeutung beimißt, denn er hält die Morde für die Taten individueller Geschäftskonkurrenten. Erst, als er herausfindet, daß alles bereits im Sommer 44 in einem deutschen Konzentrationslager begonnen hat und die Toten nur Teile einer Mordserie ungeahnten Ausmaßes sind, erkennt er die weitreichenden Verbindungen in der Gegenwart.

Doch da ist es für ihn und das eigene Überleben fast schon zu spät.

Leseprobe:
Die Grammatik der Druckversion folgt bedauerlicherweise den Regeln der sogenannten Rechtschreibreform.
Ich hoffe, das Textverständnis wird dadurch nicht allzu sehr beeinträchtigt.

Beers? Lakai hieß Jaap Waard und wohnte rund dreißig Kilometer nördlich in einer Stadt, zu der der größte Fischereihafen der Niederlande gehörte. Ich war gespannt, ob auch ich dort meinen Fisch an Land ziehen würde. Nachdem ich es erfreulich glatt bis zum Autobahnanschluss geschafft hatte, dauerte es nur noch fünfundzwanzig Minuten, bis ich den Wagen vor meinem Ziel ausrollen lassen konnte.
Ich hatte überlegt, ob ich für meinen Besuch eine Knarre mitnehmen sollte. Die Schusswaffe, über die ich verfügte, war eine Walther PPK im Kaliber 7.65. Die kennen Sie sicher aus den James-Bond-Filmen, sodass mir eine nähere Beschreibung entbehrlich erscheint. Doch die Waffe lag in Selm.

Es hätte nicht allzu viel Zeit gekostet, eben in Egmond vorbeizuschauen und den Revolver zu holen, den mir der Mann unfreiwillig dagelassen hatte, den ich jetzt besuchen wollte. Ich bin ein deutscher Frührentner aus einem winzigen Fischerdorf und nicht Wild Bill Hickock aus Tombstone. Daher ist es für mich nicht selbstverständlich, tagsüber mit zwei Revolvern am Gürtel herumzulaufen und nachts mit einem Derringer unter dem Kopfkissen zu schlafen. Was ich vorhatte, sollte eine lockere Plauderei über alte Zeiten werden, die nur aus dem gestrigen Abend bestanden. Klar, dass ich auf niemanden gut zu sprechen war, der mich umlegen wollte. Andererseits war mein Rachedurst nicht so groß, dass ich wie die Kavallerie über ihn hereinbrechen wollte. Mir würde es genügen, wenn er ein paar Informationen über seinen Chef herausrückte. Dafür würde ich den Vorfall vom Parkplatz auf sich beruhen lassen. Ich baute darauf, dass ich ihn durch Zureden zur Vernunft bringen konnte. Dafür stünden die Sterne aber schlecht, wenn ich ihn dabei in den Lauf seiner eigenen Kanone gucken ließ. Also hatte ich auf den Umweg verzichtet. Das etwa zehnstöckige Haus lag am Rand des Industriegeländes, wo Wohnbebauung in Hafenanlagen überging. Es war die steingewordene Idee von Hässlicher Wohnen, einer dieser anheimelnden Menschensilos, in denen man den Tod eines Nachbarn nur dann bemerkt, wenn der Dauerauftrag nach Monaten das Konto geleert hat und keine Mietzahlungen mehr eingehen.
Ich arbeitete mich auf einer Art Wendeltreppe um den defekten Aufzug herum in den fünften Stock hoch und war froh, an einem zerschlagenen Flurfenster richtig durchatmen zu können. Ein paar Minuten streckte ich den Kopf ins Freie und genoss die Brise, die vom Meer herüberwehte. Dann hatte ich den Mief aus gekochtem Fisch, verspritztem Heizöl und Babywindeln halbwegs aus der Nase und fühlte mich in der Lage, seine Wohnungstür ausfindig zu machen. Die Bude lag am Ende eines langen, vor dem Krieg gegen die Spanier vielleicht einmal grün gestrichenen Korridors. Ein Pappschild mit seinem per Kugelschreiber draufgekritzelten Namen war mit durchsichtigem Tesafilm überklebt und so auf der wackeligen Tür befestigt worden. Das Holz um das Schließblech herum schien erst kürzlich notdürftig geflickt worden zu sein. Möglich, dass eine Bande gleichermaßen intelligenter wie geschickter Jungeinbrecher hinter dieser Palastpforte den Schatz des Ali Baba vermutet hatte. Wahrscheinlicher erschien mir allerdings, dass der Hausherr selbst seine Schulter als Türöffner benutzt hatte, nachdem im Anschluss an seine Zechtouren einmal mehr der Schlüssel verschwunden geblieben war. Dort, wo ein Klingelknopf hingehörte, ragten aus einem Loch in der Wand zwei Drähte heraus.
Ich gab mir den Anstrich eines halbwegs zivilisierten Menschen und klopfte. Nichts rührte sich, weder hinter der Tür noch auf dem Gang. Nachdem ich meine Bemühungen dreimal und immer lauter wiederholt hatte, lag der Schluss nahe, dass er nicht zu Hause war. Eventuell hatte er sich auf den Weg zum Sozialamt gemacht, um die öffentliche Hand zu schütteln.
Als ich schon fast wieder die Treppe erreicht hatte, hörte ich, wie in meinem Rücken leise eine Tür geöffnet wurde. Der schlacksige Junge, der um die Ecke linste, war vielleicht elf, zwölf Jahre alt. Da ich mir nicht zutraute, den Jargon der Saison zu treffen, den MTV seiner kindlichen Klientel verpasst hatte, versuchte ich es ganz förmlich, als hätte ich einen Erwachsenen vor mir.
»Guten Tag! Ich würde gerne Herrn Waard sprechen. Kannst du mir sagen, ob der jetzt zur Arbeit ist und wann ich den wohl am ehesten erreichen kann?«
»Herr? Arbeit? - Ach du Teufel! Sie wollen zum blonden Affen dahinten, und Sie meinen, der geht arbeiten?« Er konnte ein abgeklärtes Grinsen nicht zurückhalten, das auf seinem Gesicht frühestens in dreißig Jahren hätte auftauchen dürfen. »Der geht genauso oft arbeiten wie mein Vater, als der noch bei uns gelebt hat.«
Der blonde Affe. Kein schlechter Titel, kam mir irgendwie bekannt vor. Ich ging zu ihm rüber, langsam, um ihn nicht zu verschrecken. »Hast du eine Ahnung, wann er wohl wiederkommt, der blonde Affe?«
Nur ein knappes Kopfschütteln. »Der kommt und geht, wie er will. Hat keinen Job außer Saufen, obwohl er immer damit angibt, dass er für so einen feinen Furz arbeitet. Kleiner alter Pinkel in so ?nem Bestattungskostüm, Sie wissen schon. Den gibt?s tatsächlich, hab ihn einmal hier gesehen. Der war ...«
»Bestattungskostüm?«
»Na, so ?n Anzug eben in Dunkel, mit Schlips und so. Wenn er blau und am Protzen ist, dann erzählt er überall rum, dass er für den als Konnsersch arbeitet oder so ähnlich. Von dem kriegt er immer Geld zum Saufen, ich kapier nicht, wofür.« »Hm, du meinst wohl Concierge, das heißt Hausmeister. Ja, das hab ich auch schon gehört. » Wie auch immer, ich muss ihn sprechen. Wirklich keine Ahnung, wo ich ihn auftreiben kann?«
Wieder dieses knappe Kopfschütteln.
Dann hatte ich plötzlich eine andere Idee. »Ich würd gerne mal einen Blick in seine Wohnung werfen. Meinst du, das lässt sich einrichten?«
Ich hatte meine Stimme auf Verschwörertonfall gesenkt und ihn dabei so verstohlen angesehen, wie er es von mir erwarten durfte. Mike Hammer auf vollen Touren. »Mir egal ... wenn Sie unbedingt kotzen wollen. Ich war einmal drin in der Bude, ach du Scheiße!«

»Okay, ich versuch?s. Wär nur zu blöd, wenn der Affe dann grad nach Hause käme. - Äh, wie heißt du eigentlich? Mein Name ist Wachtendonk.« Schöne, kleine Stadt an der deutsch-holländischen Grenze. Nicht nur Engländer sind erfinderisch. Er schlug in meine ausgestreckte Hand ein. »Ich heiße ... alle sagen Ben zu mir.«
Also Benjamin. Kein angemessener Name, wenn man vorhat, mal zwei Meter groß zu werden. »Okay, Ben, wir machen ein Geschäft.«
Ich hätte ihm einen ganzen Zehn-Gulden-Schein geben können. Aber bei einem Burschen, der für Mike Hammer schwärmt, hielt ich einen halben Fünfundzwanziger für angemessener. So was ist stilvoll in unseren Kreisen. Er starrte begeistert auf den durchgerissenen Schein. Seine Kumpel würden vor Neid tot umfallen, wenn er ihnen mit der Story kam. »Ich brauch ?nen Partner, der die Gegend im Auge behält und mir ein Zeichen gibt, wenn der Affe auftaucht. Aber rechtzeitig. Traust du dir das zu?« Die Bewegung war wieder knapp, aber diesmal ein Nicken. Zur Unterstreichung bezog er sofort Posten an der Treppe. Eine bessere Rückversicherung würde ich mir hier und jetzt nicht kaufen können. Also konnte ich genauso gut anfangen.
Ich versuchte es noch einmal mit Klopfen und lehnte mich dann mit meiner Breitseite gegen die morsche Tür, wobei ich den Druck beständig verstärkte. Ein Knirschen, ein Knacken, dann ein gedämpftes Kracks und ich stand im Korridor. Ich lehnte die Tür wieder an und machte mich ans Werk. Nach rechts ging das Badezimmer ab. Ein Klotopf mit Druckspüler, eine Duschtasse, in der ein heruntergerissener Brausekopf lag. Ein braunfleckiges Waschbecken, ein gesprungener Spiegel ohne Ablage davor, kein Wandschrank. Dieser Albtraum eines Villeroy&Boch-Vertreters hielt kein Geheimnis für mich parat. Das Schlafzimmer links war dagegen ein Wunschtraum in Askese. Ein Säulenheiliger führte ein bequemeres Leben. In der Mitte lag eine stinkige Matratze unbestimmbarer Farbe mit einer in ihrem Siff harmonisch darauf abgestimmten Decke. An den Wänden selbst gebastelte Regale voller ziemlich teurer Spirituosen. Der Knalleffekt erwartete mich im kombinierten Koch- Wohnraum. Frau Holle hatte eine Party gegeben. Jeder Quadratzentimeter im Raum war mit Federn bedeckt. Der Täter hatte zu viele Filme gesehen und geglaubt, dass ein Kopfkissen den Abschuss dämpfen würde. Das tut es auch normalerweise. Nur hätte er dann nicht eine Flinte mit 12er- Schrot nehmen dürfen. Sein Glück war, dass es in diesem Bau niemanden störte, wenn der Nachbar mit einer Panzerfaust übt.
Ich ließ jeden Gedanken an eine weitere Examinierung der Bude sausen und konzentrierte mich auf den Hausherren, der in einem Sessel der Tür direkt gegenübersaß. Die Wand hinter ihm war mit Blutspritzern, Knochensplittern, Gehirnmasse und Einschusslöchern übersät. Wie er so dasaß, machte er auf mich einen ziemlich kopflosen Eindruck. Ganz wie Ludwig XVI. bei seiner umjubelten Schlussvorstellung, nachdem das letzte Messer gefallen war. Beers hatte aus dem Intermezzo auf dem Parkplatz gelernt und war diesmal mit seinem Schießprügel nahe genug herangegangen, um einen lästigen Mitwisser einer radikalen Schönheitsoperation zu unterziehen.
Leider bin ich nicht so abgebrüht, wie ich gerne erscheinen möchte. Ich brauchte ein paar Minuten, um mich wieder ins Lot zu bringen. Wenn ich in der Zwischenzeit etwas getan hatte, dann war das von mir nicht registriert worden. Scheiße, was hatte ich alles in die Finger genommen? Ich hatte in der Wohnung auch vorher einiges angefasst und versuchte zu rekapitulieren, was es war. Ich schmeichle mir gerne, indem ich annehme, über ein ausgesprochen gutes Erinnerungsvermögen zu verfügen, aber allzu viel Vertrauen in die eigene Speicherkapazität hat schon manchen dazu gebracht, sein Gedächtnis in einer überbelegten Gemeinschaftszelle voller Notschwuler zu trainieren. Jahrelang. Deshalb ging ich kein Risiko ein und versuchte erst gar nicht, die Einrichtung mit Papiertuch und Wunderreiniger blank zu scheuern. Das würde ich denen überlassen, die sich mit meinem Werk nicht anfreunden könnten. Die von Beers kreierte Frostlandschaft hatte mich inspiriert. Ich ging zurück auf den Flur und schnappte mir den Minimax, der im Treppenschacht hing, entfernte den Sicherungsdraht, entriegelte den Schlauch und haute oben auf den Auslöseknopf. Es dauerte drei Strophen Leise rieselt der Schnee, dann war jeder Quadratzentimeter der Bude zu einem Winterparadies geworden, um das mich jeder Dekorateur beneidet hätte. Wer den Schmier wegputzen wollte, würde mehr Fingerabdrücke abschrubben, als ich in einem Jahr hinterlassen konnte. Den Feuerlöscher wischte ich ab und schmiss ihn ins Schlafzimmer. Mit dieser Bude und ihrem Besitzer war ich fertig.
Ben erhielt die andere Hälfte des Scheins mit dem Auftrag, eine Stunde nach meinem Abmarsch die Polizei anonym auf seinen Nachbarn hinzuweisen. Ich baute das als Notbremse ein. Sie würden die Todeszeit bestimmen und mich damit als Täter ausschließen, falls sie je nach dem Herrn Wachtendonk suchen sollten, der heute Nachmittag in der Wohnung des Verblichenen gewesen war.
Außerdem tat ich damit dem Vermieter einen Riesengefallen. Die Leiche würde abgeräumt, bevor aus der Wohnung eine Madenzucht werden könnte.

Medienecho:
Auch F.G. Klimmeks Roman "Schnee von gestern", der zweite Krimi um den Frührentner Karl-Heinz Schmidt, lohnt die Lektüre.
Das fortwirkende Völkerverbrechen scheint für Klimmek zum kriminalistischen Leitmotiv zu werden. Aber der Autor spinnt seinen Fall nach allen Regeln der Who-dunnit-Kunst mit klassischen Spannungsbögen, falschen Verdächtigen und Pseudolösung fort.
Sein mit elf Kilo Übergewicht belasteter Held freilich ist etwas Besonderes. Dieser mürrische Ich-Erzähler, der bei aller Auskunftsfreude doch genug für sich behält, um interessant zu bleiben, er ist ein Solitär im deutschsprachigen Krimi.

>>> Soester Anzeiger