Ad Defensionem Magistri
oder
Sherlock Holmes im Laboratorium der Legastheniker

Sir Arthur Conan Doyle, der Schöpfer des von uns so hochverehrten Meisterdetektivs, ist seit mehr als 70 Jahren tot. Dies hat u.a. die Konsequenz, daß das Urheberrecht an seinen Werken und den von ihm kreierten Personen erloschen ist.

Ein Segen für alle diejenigen, die sich seit langem auf neue Fälle von Holmes und Watson gefreut haben, geschaffen von neuen Autoren, ähnlich stimmig und sich nahtlos in die Sammlung einfügend wie einst die Fortschreibungen von John Dickson Carr und Kollegen?

Wohl kaum!

Denn in den früheren Jahren war jedermann, der sich des Namens des von uns so geschätzten Detektivs bedienen wollte, gezwungen, die Zustimmung der Erben Conan Doyles bzw. der Inhaber der Rechte einzuholen, die wiederum peinlich genau darauf achteten, daß es zu keiner Verkehrung des literarischen Charakters kam und die von ihnen autorisierten neuen Geschichten von Stil, Logik und Sujet her bestens in den Rahmen paßten, der von Doyle vorgegeben war. Das führte, wie eingangs erwähnt, zu so großartigen Geschichten wie Das Henkersbeil / Der verschwundene Rubin / Die dunklen Engel / Zwei Frauen / Der Vogelfreund / Die rote Witwe, die einst in der Anthologiereihe Sherlock Holmes' Kriminalfälle (Heyne-Taschenbuch von 1971) erschienen sind und auch berechtigterweise verlagsseitig im äußeren Bild keinen Unterschied zum parallel veröffentlichten originalen Kanon erkennen lassen. Nach meinem Dafürhalten kann sich jeder glücklich schätzen, dem es gelingt, ein solches Exemplar im Antiquariat aufzutreiben.

In diesem Sinne gäbe es auch heute noch für den engagierten Autor einige Aspekte, bei denen er zu einer kongenialen Weiterführung der Holmes-Geschichten ansetzen könnte. Z.B. könnte bezüglich der Geschichte The Norwood Builder (hier zeigt sich erneut Doyles Schwäche auf dem Gebiet der Biologie) endlich mit dem Versuch aufgeräumt werden, bei einer verbrannten Leiche Menschen- durch Tierknochen doubeln zu lassen. Und angesichts der zeitlichen Identität der Tätigkeiten von Holmes und Jack the Ripper wäre, trotz der insoweit bereits reichlich vorhandenen Romane, angesichts der rezenten Profiling-Erkenntnisse durchaus noch Platz für andere fiktive Deutungen.

Leider besteht demgegenüber nunmehr jedoch die Gefahr, daß die Figur des Sherlock Holmes aus rein kommerziellen Gründen zu einem Popanz verkommt, weil sich neben denjenigen, die sich mit ihren Veröffentlichungen um eine Erhaltung und Förderung des von A.C. Doyle geschaffenen Kosmos' bemühen, jedermann die Detektivfigur zueignet, der hofft, sie für seine Zwecke ausschlachten zu können. Daß sich unter diesen literarischen Hyänen nicht wenige befinden, die aus offenkundiger Unkenntnis des Wesens der Romanfigur und damit Hand in Hand gehender deutlichlister Unfähigkeit ihrer angemessenen Darstellung um so erfolgreicher am Denkmal des Meisters gekratzt haben, beweisen hinlänglich diverse Druckwerke der jüngeren Zeit.

Jeder Autor, der über Jahre vergeblich darauf gehofft hat, eine winzige Kurzgeschichte seines hausgemachten Detektivprotagonisten in Zeitschriften wie der "Bäckerblume" oder "Fleischerpost" unterbringen zu können, darf ihm nun den Stempel "SH" aufdrücken, den Meister der Deduktion um die Welt hetzen und Watson über dessen Abenteuer in Kapstadt oder Castrop-Rauxel berichten lassen. Jeder 1-Mann-Hinterhofverlag, der sich bislang mit der Veröffentlichung von Schundliteratur mühevoll wirtschaftlich über Wasser halten konnte, weil er sich mit gedanklich wie sprachlich simpelst gestrickten Gruselstories die Gunst einer Klientel erarbeitet hat, deren intellektuelles Mumien- und Vampirniveau keinesfalls überfordert werden darf, kann sich nun ungestraft der Figur des berühmtesten Romandetektivs aller Zeiten bemächtigen und an dem untauglichen Versuch verheben, sie in eine Schublade zu pressen, die mit versteinerten Götzen, rächenden Pharaonen, blutsaugenden Untoten und anderen Knallchargen des Horrormilieus längst überfüllt ist.

Daß es zwar auch anders geht, hat unlängst der Jokers-Verlag mit seiner zum 120. Geburtstag von Sherlock Holmes erschienenen Anthologie "Happy Birthday, Mister Holmes!" bewiesen, die überwiegend Geschichten enthält, die von Stil und Logik durchaus hätten aus der Feder von Conan Doyle persönlich stammen können. Aber ein solches Bestreben um Eingliederung in das Gesamtwerk des Meisterdetektivs ist leider die Ausnahme.

Denn wieviel einfacher ist es doch demgegenüber, auf billigste werbliche Effekthascherei (Geheimnisse, die zu schrecklich waren, um sie der Welt früher offenbaren zu können, sinister, grauenhaft, sprich blöd. Dazu willfährige Claqueure, die Bejubelungsorgien ins Internet lancieren, ohne von der Materie einen Funken begriffen zu haben.) zu setzen, indem man dem des Urheberschutzes beraubten Holmes ein Verhältnis mit der Frau des Dr. Watson andichtet, der sich wiederum als Moriarty entpuppt, dessen Stellvertreter es vom Mörder zum Chef von Scotland Yard gebracht hat, und die ganze Absurdität mitten im Cthulhu-Unsinn plaziert.

Und das alles in Sprache und Schlußfolgerung Lichtjahre vom originalen Bakerstreet-Szenario entfernt.

Wie lange werden manche Autoren/Herausgeber/Verleger noch brauchen, bis sie Holmes, die Inkarnation folgerichtigen Denkens, der Fälle wie "Der Hund der Baskervilles" gerade deshalb lösen konnte, weil er Übersinnliches unter gar keinen Umständen gelten ließ, zu einer Van-Helsing-Karikatur pervertiert haben, die Vergrößerungsglas und Pfeife mit Holzpflock und Knoblauch vertauscht hat und auf Friedhöfen herumschleicht, um en passant die Bundeslade mit 3 Kristallschädeln darin zu finden, die ihm endlich verraten, wo der Schatz der Tempelritter versteckt ist?

Und wann wird sich jemand dazu versteigen, nachdem das Privatleben des SH bereits auf die Leinwand gebracht worden ist, das allergeheimste Sexualleben des Meisterdetektivs zu offenbaren und ihn und Watson als homosexuelles Liebespaar zu outen?

Wer einer solchen "Weiterentwicklung" der Figur des Sherlock Holmes entgegenfiebert und sich den Spaß daran nicht einmal von seinem Vormund bzw. Betreuer verderben lassen will, muß sich um das nachfolgende Original von "Mrs. Hudsons Theorie" nicht scheren.

Alle echten Sherlockianer mögen sich jedoch mit folgenden Worten eingeladen fühlen, die wahre Geschichte vom gesprenkelten Band bei Kindle nachzulesen:

"Verehrte Freunde des großen Meisters!
Mein entscheidendes Motiv, mich kurzfristig von den sonstigen Hauptdarstellern meiner Romane abzuwenden und einen Abstecher in die Klassik zu versuchen, war das Bestreben, mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln die Ehre des von uns so hochgeschätzten Meisterdetektivs zu retten und seiner Anhängerschar den Glauben an seine unfehlbare Logik wiederzugeben, der andernfalls mit der Geschichte Das gefleckte Band (korrekt übersetzt Das gesprenkelte Band) nachhaltig zerstört worden sein müßte.
Der Fall der Giftschlange, die Milch trinkt, mit einer ledernen Schlinge eingefangen werden kann, in einem Tresor ihr Dasein fristet, und - als Gipfel jeglichen Realitätsverlustes - auf Pfiff dressiert wird (!), ist höchstgradig unsinnig. So unsinnig, daß sie die Phantasie auch des geneigtesten Lesers übersteigen muß, die ohnehin stark gefordert wird bei der Vorstellung, daß diese Story aus der Feder eines studierten Mediziners stammt, dem die allgemeine Biologie nicht fremd sein sollte.
Gleichwohl dürfte es sich um eine seiner stimmungsvollsten handeln und wurde möglicherweise alleine deswegen trotz der literarisch "vergewaltigten" Natur mit dem legendären Jeremy Brett verfilmt.
Sei es, wie es sei. Ein wahrer Verehrer unseres ewigen Helden kann demgegenüber nicht ruhen, bevor nicht die Fakten der Ursprungsgeschichte mit unumstößlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Kongruenz gebracht worden sind und Holmes diese Verbindung auch diesmal mit seiner ansonsten so zwingenden Kombinationsgabe hergestellt hat.
Deshalb nun hier Die wahre Geschichte vom gesprenkelten Band.
Eine gänzlich neue Story ist Mrs. Hudsons Theorie also nicht. Neu an ihr ist nur der Versuch, Holmes wieder auf den Sockel der Logik zu heben.
Ich hoffe, es ist mir gelungen.
In diesem Sinne weise ich auf meine Geschichte "Mrs. Hudson's Theorie" bei Kindle hin.
Ihr F.G. Klimmek"