Leseprobe: Die Grammatik der Druckversion folgt bedauerlicherweise den Regeln der sogenannten Rechtschreibreform. Ich hoffe, das Textverständnis wird dadurch nicht allzu sehr beeinträchtigt.
Die Straße ging am Ortsende nach rechts von der B 235 ab.
Wiesen und Äcker zu beiden Seiten, mit vereinzelten Baumgruppen
durchsetzt, hier und da von niedrigen Hecken
durchzogen. Es gab keine zusammenhängende Bebauung,
nur gelegentlich ein Gehöft oder ein weit ausladendes Wohnhaus
eines Bauern, der sein Land verkauft hatte. Ein mitdenkendes
Autoradio hätte in solcher Umgebung von selbst auf
Günter Wewel oder die Fischerchöre umgeschaltet.
Das gesuchte Lokal musste früher ein Bauernhof gewesen
sein. Von der Straße durch eine hohe Hecke abgeschirmt und
inmitten alter Bäume lag fünfzig Meter geradeaus am Ende
einer Parkfläche das eigentliche Gasthaus. Die ehemalige
Scheune zur Rechten diente offenbar als Unterstellmöglichkeit.
Beide Gebäude bestanden aus schwarzem Fachwerk
mit rot gestrichenen Backsteinen.
An der Straße wies nichts auf die Existenz des Hauses hin.
Das von innen mit Neonröhren beleuchtete Glasschild mit
dem geschwungenen Schriftzug »Landgasthof Adelheid«
machte in den Ecken zusätzlich Reklame für König-Pilsener
und hing direkt über dem Eingang zum Schankraum. Wir
traten ein und fanden uns in einer gewöhnlichen Ruhrgebietsbar
wieder. Dem Eingang gegenüber die Theke. Kunststoff
mit Palisandermaserung. Nach links im Halbkreis aufgestellte
Tische mit hufeisenförmigen Eckbänken, die jeweils
durch das Zuziehen eines Vorhangs im Handumdrehen profitsteigernd
von deutschen Nischen in französische Separées
verwandelt werden konnten. Als Dekorationsstücke hingen
hölzerne Karrenräder und - in Öl auf Leinwand - die unvermeidliche
Karstadtzigeunerin an der Wand.
Alles war so schmierig wie Duisburgs Goldener Anker um
neun Uhr morgens vor dem Eintreffen der Putzfrauen. Dass
dem Wirt der gute Geschmack vereinzelter Gäste völlig egal
war, brachte er durch eine brutal helle Beleuchtung seines
Etablissements zum Ausdruck.
Außer uns war nur noch ein Mensch anwesend, wenn man
ihn euphemistisch so bezeichnen wollte. Er war relativ groß,
weich, teigig, bleich und hatte die äußeren Abmessungen
eines Nappo-Blocks; seine Schultern waren nur halb so breit
wie seine Taille. Gewandet war dieser semiweibliche Albtraum
in ein ärmelloses Zellstoff-T-Shirt, das man ihm auf
den Leib lackiert haben musste, und eine Jeans, die ihre
Strapazierfähigkeit allein dadurch unter Beweis stellte, dass
er sie anhatte. Um den Hals hatte er so viel Billiggold hängen,
als hätte er an einem Kaugummiautomaten die Serie
geholt. Er blätterte in einem Tattoo-Magazin. Dass er tonlos
den minimalen Text mitlas, verriet das leichte Zittern seiner
herabhängenden Unterlippe.
Als er die Eingangstür hörte, blickte er gelangweilt auf. Da
zwei Kerle eingetreten waren, die er nie zuvor gesehen hatte,
war sein Heft plötzlich nur noch zweite Wahl. Er warf es in
die Ecke, setzte das auf, was er für sein Hallo-Jungs-mit-mirkönnt-
ihr-viel-Spaß-haben-Lächeln hielt, und sagte: »Na, ihr
Schnuckel, was kann ich denn für euch in dieser ungestörten
Viertelstunde tun?«
Ich fragte ihn: »Bist du Adelheid?«
Sein Gesichtsausdruck wurde um die Facette der Verständnislosigkeit
bereichert.
»Ob du hier der Boss bist.«
Sein verschämtes Grinsen wirkte halbwegs echt. »Also, du
wirst es kaum glauben, aber das bin ich wirklich«, antwortete
er in einer Sprechweise, die sich Dieter Krebs erst zeitaufwendig
hatte aneignen müssen. Er sah mir wohl an, dass ich es tatsächlich
kaum glaubte, und schob ehrlicherweise nach: »Naja,
also, äh, genau gesagt, gehört das alles hier einer Gesellschaft,
aber ich bin der Geschäftsführer, also, äh, nicht der Geschäftsführer
der Gesellschaft, sondern von diesem Lokal
hier, also ... ich mach hier die Theke.« Jedes »äh« und jedes
»also« wurden von einem Wedeln seiner Hände begleitet.
Bevor er sich vollends in eine Windmühle verwandelte,
bestellte ich was zu trinken. »Mach für den Anfang mal zwei
Whisky, zur Akklimatisierung.«
»Und ich?« Sein Augenaufschlag mochte in geneigten
Kreisen der Knaller sein, bei Heterosexuellen verursachte er
Verdauungsstörungen.
Ich legte den Kopf schief in scheinbarem Nachdenken.
»Warum nicht?« Und hielt drei Finger hoch. »A votre Chantré,
wie der Franzose sagt«, schoss ich meinen ersten Testpfeil ab.
Adelheids Reaktion war die Bemerkung: »Ah, ein Weltmann
mit Manieren.«
Er angelte eine Flasche Chivas vom Regal und goss ein. Es
war echter Chivas, kein in die Originalflasche umgefüllter
Racke-Rauchzart, auch kein Imitat von Lidl. Wir gehörten
also nicht der Kategorie »Mit allen Mitteln zu schröpfen« an.
Obendrein waren die Gläser schön voll. Meine Worte mussten
sein Herz erwärmt haben.
Ich setzte noch einen drauf: »Klasse Laden habt ihr hier«,
und, während ich demonstrativ meinen Blick schweifen ließ,
»richtig traumatisch.«
»Schön, dass es euch gefällt!«
Dem war nichts weiter hinzuzufügen.
Wenn ich nicht im Dialog eines Peter-Alexander-Films landen
wollte, musste ich die Sache langsam auf den Punkt
bringen. Daher legte ich mehrere Fotos auf den Tisch, die
sämtlich unsere verhinderten Killer und vereinzelt auch
Adelheid zeigten.
»Ich muss die Herren unbedingt sprechen«, sagte ich, und
auf seinen fragenden Blick hin: »Es geht um ziemlich viel Geld.«
Geld. Geld - das Zauberwort des Universums. Dieses Wort
war für Adelheid eine so allumfassende Erklärung, dass er
sich die Frage schenkte, ob wir die beiden nur geschäftlich
oder nicht vielleicht doch ein bisschen geschlechtlich treffen
wollten.
Er betrachtete die Fotos Bild für Bild mit etwas wehmütiger
Miene, als würden durch sie Erinnerungen an einen
rundum gelungenen Urlaub geweckt. »Ralf und Dieter.« Er
nickte dabei so nachdrücklich, als könnte er damit verhindern,
dass ihnen jemand ihre Namen stahl. »Die hab ich selber
schon ein paar Wochen nicht mehr gesehen. – Komisch,
dass die in letzter Zeit so begehrt sind.«
Na endlich, der Aufhänger, auf den ich gewartet hatte.
»Wie lange ist ›in letzter Zeit‹ – und von wem begehrt?«
Mit schlecht gespielter Verzweiflung im Blick und rudernden
Armen – seine Art, komödiantisch wirken zu wollen –
erklärte er uns: »Lange, das sind so vier, fünf Wochen. Da
kam son Holländer rein, der mit ihnen in die Ecke tuscheln
ging. Aber richtig abgespielt hat sich da nix. Und dann hat
der General noch nach ihnen gefragt.«
Das mit dem Holländer musste ich erst mal verdauen. Um
Adelheid nichts merken zu lassen, verlegte ich mich zu -
nächst auf den General.
»Was denn für ’n General? Das Putzmittel oder der
Stummfilm mit Charly Chaplin?«
Adelheid legte die Fotos aus der Hand und sah mich an.
Irgendetwas in meinem Tonfall musste ihn stutzig gemacht
haben. Er schraubte seine Hilfsbereitschaft um einige
Drehungen zurück und ging zum Angriff über. »Wieso
willst du das alles wissen? Wenn sie nicht da sind, sind sie
nicht da. Außerdem passen die beiden auch gar nicht zu
euch. Ihr passt hier sowieso überhaupt nicht hin.«
»Jetzt mach mal halblang. War bis jetzt doch ’ne ganz
freundschaftliche Unterhaltung, Süßer.«
»Den Süßen kannste dir sparen, du Töle! Ihr seid doch nur
zwei linke Vögel und wollt die Jungs irgendwie reinlegen, so
was merk ich doch.«
Ich wusste; wie ich jetzt auch reagieren würde, es wäre
falsch. Also konnte ich genauso gut den Mund halten.
Adelheid zögerte nur kurz, griff dann hinter sich und
zog einen Baseball-Schläger aus einem Schirmständer.
Heilige Einfalt, waren Axtstiele und Kabelenden denn
völlig aus der Mode gekommen, musste immer alles amerikanisch
sein? Ich hätte ihm mühelos das Ding wegnehmen
und in den Arsch schieben können, aber weder wollte
ich ihm eine unverhoffte Freude machen noch riskieren,
dass Sven falsch reagierte und in Mitleidenschaft gezogen
wurde. Also hob ich die Hände wie der Kassierer einer
Westernbank und ging langsam zur Tür. Durch die war
mein Partner, seinem Naturell und der Vernunft gehorchend,
schon verschwunden. Als ich rückwärts rausging,
legte Adelheid den Schläger zufrieden auf den Tresen und
rief mir nach: »Und außerdem, du Gruftspinne, der
General ist nicht mit Charly Chaplin, sondern mit Buster
Keaton.«
So, so, ich hatte es hier mit einem wahren Leinwandconnaisseur
zu tun. Wäre schön gewesen, wenn er auch
»Scorpio« gesehen hätte, das hätte mein weiteres Vorgehen
sehr vereinfacht.
Ich ging zum Kofferraum meines Wagens und kramte den
Reservekanister hervor; zwingend notwendiges Requisit für
meinen Burt-Lancaster-Auftritt.
Sven riss die Augen auf: »Du willst ihm doch nicht etwa
die Bude anstecken?« – Schwang da vielleicht ein Hauch von
Begeisterung in seiner Stimme mit?
»Keine Angst. Nur ein individuelles Remake für einen echten
Cineasten.«
Der Kanister war bis auf ein paar Tropfen leer. Egal, eine
Feuersbrunst passte ohnehin nicht in mein Konzept. In Ermangelung
anderer Flüssigkeiten pinkelte ich in den Behälter.
Die Mischung würde jede Brandschutzprüfung mit
dem Prädikat »schwer entflammbar« bestehen. Das konnte
jemand, der die Herstellung nicht beobachtet hatte, aber im
wahrsten Sinne des Wortes nicht riechen, denn eine anschließende
Geruchsprobe hätte ergeben, dass das Benzin die
Oberhand behalten hatte.
Ich klemmte mir den Cocktail unter den Arm und marschierte
zurück zum Lokal, dicht gefolgt von Sven. Adelheid
hatte unser Kommen durch das Fenster gesehen. Als vermeintlicher
Herr der Lage wollte er uns potentielle Opfer
jedoch nicht durch unverdiente Aufmerksamkeit adeln.
Deshalb las er in künstlicher Konzentration weiter in seinem
Magazin und murmelte ohne aufzusehen: »Ah, doch noch
geil auf ’ne kleine Abreibung?«
Mit drei schnellen Schritten war ich an der Bar, griff ihm
mit links in die Haare und riss seinen Schädel hoch. Seine
instinktive Gegenbewegung ausnutzend, knallte ich sein
Gesicht auf die Theke, riss dann den Kopf so schnell wieder
hoch, dass das Blut kaum Zeit hatte aus der gebrochenen
Nase zu fließen, und goss ihm den Kanisterinhalt über
Gesicht und Oberkörper.
Adelheid gab ein schnaufendes Röcheln von sich und
schluckte beim Versuch Luft zu holen Blut und meine Mix-
tur. Er erbrach sich postwendend auf den Tresen. Ich trat
einen Schritt zurück und ließ mein Zippo aufschnappen.
Mit einem allmählich aufkeimenden Verständnis im Blick
fixierte er die Flamme. Also war meine Vermutung richtig
gewesen und seine Zunge nicht auf Super verbleit geeicht.
Er schwitzte seine Angst aus und man konnte aus allen
seinen Poren riechen, dass er damit rechnete, sein Leben
nach einigen Minuten finaler Erleuchtung als Aschehäufchen
zu beenden.
»Willkommen zum zweiten Teil unserer Show!« Ich wedelte
mit dem Feuerzeug. »Das Quiz geht weiter und das Publikum
hofft auf viele richtige Antworten des Kandidaten.«
Ich streckte meinen Arm ein wenig aus. Adelheid versuchte
sich mit dem Rücken in die Regale hinter der Theke zu
pressen. Noch ein paar Millimeter und er würde aussehen,
als hätte man ihn durch einen Eierschneider gejagt.
»Wer ist der Holländer und woher weißt du überhaupt,
dass er ein Holländer ist?«
Sein Gesicht war inzwischen verquollen und braunrot. Die
weit aufgerissenen, hellen Augen standen dazu in einem unnatürlichen
Kontrast. Er spuckte einen Klumpen Schleim aus
und sagte: »Weiß nich.« Beim Sprechen lispelte er leicht.
Also hatten auch seine Zähne etwas abgekriegt.
Zippo zu, Zippo auf. »Die Chancen des Kandidaten sind
gerade dabei sich in Rauch aufzulösen.«
Adelheid hustete und spuckte wieder einen Klumpen
aus. Platt an die Wand gedrückt, konnte er nicht weiter
zurück. Ich schob den Arm mit dem Zippo zehn Zentimeter
vor.
Sein Lispeln wurde zum Winseln. »Mach kein Scheiß, ey!
Ich weiß nix, gar nix. Dat der Typ Holländer war, hört man
doch. Und sein Wagen draußen hatte ’ne gelbe Nummer.«
»Der Kandidat macht Boden gut. Er gewinnt eine befristete
Feuerversicherung. – Wer ist der General?«
»Weiß ich nich«, Zippo zu, Zippo auf, »so genau. En oller
Opa, der in jedem Satz vom Krieg gelabert hat. Der is nich
schwul. Der kam hier nur hin, weil er auch Ralf und Dieter
gesucht hat.« Adelheid hatte jetzt den Punkt erreicht, an dem
ich Benzin und Feuerstein schonen konnte. Die Auskunftsquelle
würde von alleine weitersprudeln. »Der war bestimmt
kein General. Die Jungs ham den bloß aus Gag so getauft
wegen seim Militärgequatsche. Kam mit ’nem alten Mercedes
hier an, son alter Diesel, aber picobello glänzend, einer von
den runden, schwarzen, aus den Fünfzigern. Ich glaub nich,
dass hier einer weiß, was er von den beiden wollte.«
»Wer ist der Mann, was macht er, wo kann ich ihn finden?«
Die Antwort war nur ein Achselzucken, das ich für wahrheitsgetreu
hielt. »Für die Beantwortung dieser Masterfrage
hat der Kandidat bis morgen Nachmittag Bedenkzeit. Sonst
komm ich wieder und bring einen Tankwagen mit.«
»Wo kann ich dich anrufen?«
Ich glaubte ihm, dass er ignorant genug war, die Tragweite
seiner Frage nicht zu begreifen. »Du bist ein Spaßvogel, Kleiner.
Ich rufe dich an.«
Als wir vom Parkplatz fuhren, stand Adelheid in der Eingangstür.
Ich winkte ihm mit ausgestrecktem Arm aus dem
Seitenfenster zu, das Feuerzeug in der Hand, und rief: »Bitte
denken Sie daran: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit.«
Sollte er ruhig noch ein bisschen zittern, bevor er sich wieder
in die Nähe einer Flamme wagte.
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