zurück zu den Büchern

Des Satans Schatten

Autor: F.G. Klimmek
Taschenbuch
285 Seiten
ISBN: 3-937001-61-1
Preis: 9,50 Euro (inkl MwSt.)

Jetzt bestellen

Klappentext:
Lange hat es Frederik von dem Kerkhof nicht in seinem holländischen Exil gehalten, den professionellen Mörder und ehemaligen Spion im Dienste des Fürstbischofs von Münster.

Es gilt, in Crange eine Dankesschuld abzutragen, die ihn zwingt, einen Mord aufzuklären, der nach der Meinung aller nicht von einem Sterblichen begangen worden sein kann.

Damit betritt unser Held erneut eine mittelalterliche Bühne aus Tod, Intrige und Verrat von ungeahnter Dimension; denn der Ermordete war damit befaßt gewesen, dem spurlosen Verschwinden ganzer Familien und Gruppen von Reisenden nachzuspüren. Um was für einen Dämon muß es sich handeln, der eine Vielzahl von Menschen einfach ins Nichts überwechseln lassen kann?

Befürchtet Frederik anfangs noch, es mit Satan persönlich aufnehmen zu müssen, wäre er am Ende froh, nicht auf einen schwereren Gegner zu treffen. Zwar ist sein Widersacher höchst irdischer Natur, doch das macht alles nur noch schlimmer.

Leseprobe:
Die Grammatik der Druckversion folgt bedauerlicherweise den Regeln der sogenannten Rechtschreibreform.
Ich hoffe, das Textverständnis wird dadurch nicht allzu sehr beeinträchtigt.

Ich war froh, als wir uns endlich zu unserem Platz durchgekämpft hatten. Beste und sogar kostenlose Aussicht für die darob heftigst beneideten Gäste des Fiscaladvocaten. Keine zwanzig Schritte vor uns erhob sich das Schafott, auf dem im Kohlebecken die Glut schon entfacht war. Richter, Ankläger und Ratsherren fehlten dort ebenso wenig wie der unvermeidliche Priester, die sich alle ihrer Funktion wohl bewusst waren und deshalb eine angemessen bedeutungsvolle Miene zur Schau trugen.

Zu unseren Füßen wogte die Menge hin und her, durch die sich eine schmale, von Wachen mit ihren quergehaltenen Spießen mühevoll freigesperrte Bahn zog. Nach einer Weile wurden die Wellen aus Haaren, Hüten und Kappen ruhiger, die sich vereinzelt an den Kindern brachen, die auf den Schultern ihrer Väter saßen, und verebbten schließlich vollends, als aus der Stadt die Arme-Sünder-Glocke herübertönte. Mit ihrem Klang erlosch auch jeglicher Lärm, der sich zuvor wie eine erstickende Decke über den Platz gelegt und jede Unterhaltung mit einer Person, die mehr als drei Schritte entfernt war, unmöglich gemacht hatte.

Es wurde so still, dass man die Pferde heranschnaufen hören konnte, die den Todgeweihten auf einer Kuhhaut zu seiner letzten Vorstellung schleiften. Scharmann, genau wie gestern nur mit seinem Lendenschurz bekleidet und weiterhin mit den Schellen gefesselt, sah noch jämmerlicher aus als bei unserer ersten Begegnung. Diesem Wesen haftete nichts Dämonisches an, das hier war nur ein Haufen Fleisch und Knochen, in dem bald kein Leben mehr wohnen würde. Der Weg vom Kerker bis hierher über Stock und Stein, durch nichts gemildert als das dünne Leder, war für sich schon eine kaum erträgliche Tortur. Angesichts der zuvor auf der Folter erlittenen Verletzungen und Wunden, die durch diese Behandlung wieder aufgebrochen waren, grenzte es an ein Wunder, dass er noch bei Bewusstsein war.

Unter dem rhythmischen Schlag von Trommeln ergriffen zwei Schergen den armen Teufel und trugen ihn mehr die Treppe hinauf, als dass sie ihn bei seinen eigenen Bemühungen unterstützten. Sobald sie ihn oben auf der Plattform losließen, sank er wieder in seine Kauerstellung zurück, die ich schon aus dem Verlies kannte.

Nach ihm stieg der Henker mit seinen drei Gehilfen empor, die alle ihr Gesicht mit sackartigen Kapuzen verhüllt hatten. Als hätten sie mit ihrem Opfer nichts zu schaffen, schritten sie an ihm vorbei und postierten sich neben dem Pfahl, an dem der erste Akt des Schauspiels stattfinden sollte.

Die Trommeln verstummten, und es trat eine solche Stille ein, dass man in ihr die redensartliche Nadel hätte zu Boden fallen hören. Nun erhob sich der Richter und verlas mit einigem Räuspern das Urteil, welches nach ausführlicher Schilderung der begangenen Verbrechen die Reihenfolge der Strafen angab, mit denen der Missetäter vom Leben zum Tode torquiert werden sollte.

Danach bot man dem Todeskandidaten die Möglichkeit, mit sich, seiner Schuld und dem Himmel ins Reine zu kommen, indem er vor aller Welt in einer ergreifenden Rede sein verpfuschtes Leben ausbreitete und sich selbst als ewige Mahnung zur Läuterung und erzieherischen Einwirkung darböte. Ich hatte in solchen Situationen wiederholt erlebt, dass die Verurteilten förmlich von einer Todessehnsucht mitgerissen wurden und ihre Rolle tatsächlich genossen, erfuhren sie doch zum ersten Mal in ihrem Leben eine Aufmerksamkeit, die ihnen ansonsten beständig versagt geblieben war. Manche vergaßen darüber wahrhaftig für einige Minuten, dass dies auch das letzte Mal war.

In Scharmanns Verhalten änderte sich jedoch nichts. Aufgrund der Fesselung unfähig, mehr als nur kleinste Bewegungen zu vollführen, verharrte er in seiner verkrümmten Position und gab nur brabbelnde Laute von sich, die außerhalb der Plattform nicht mehr zu hören waren. Auch das Hinzutreten des Priesters, der ihn im Glauben bestärken und ihm eine letzte Beichte abnehmen wollte, nötigte ihm keine andere Reaktion ab.

Als der Pfaffe mit seinem Sermon fertig war, scheuchte ihn der Richter mit einem kurzen Wink beiseite. Dieses Zeichen war gleichzeitig die Aufforderung an die Henker, ihres Amtes zu walten.

Die Knechte zogen den Delinquenten aus seiner Hockstellung empor vor den Pfahl, an dem sie ihn dadurch fixierten, dass sie zwei in der entsprechenden Höhe angebrachte eiserne Reifen um seinen Hals und seinen Leib legten, ohne ihn von seinen sonstigen Fesseln zu befreien.

Die Luft über der Menge vor mir, aus der vereinzeltes Stöhnen und manchmal sogar ein hysterisches Gelächter zu hören waren, schien sich zu einer durchsichtigen Gallerte zu verdichten, die man beinahe mit einem Messer hätte schneiden können. Die Masse wogte wieder wie zuvor hin und her, weil ein jeder danach trachtete, seine Sicht zu verbessern, und sie wirkte dabei so hitzig wie ein angetrunkener Galan, der sich im nächsten Moment auf seinen Nebenbuhler stürzen will, der ihm die Gunst der Dorfhure streitig macht.

Nun endlich trat der Henker vor und ergriff, nachdem Totenstille eingekehrt war und er sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Volkes sicher sein konnte, eine an den Backen weißglühende, etwa armlange Zange. Diese grub er in den Brustmuskel des Verurteilten, um nach sekundenlangem Warten, in dem sich der Geruch verbrannten Fleisches mit den Ausdünstungen der Menge mischte, ein Stück aus dem Körper zu reißen.

Es war dieser besondere, mit nichts anderem zu vergleichende Geruch, der mich seit dem 22. Januar des Jahres 1536 nicht mehr loslassen sollte. Ich schloss wie im Zwang die Augen vor der grässlichen Szene vor mir, bloß, um damit eine noch weit schlimmere wieder vor mir erstehen zu lassen, in der das Gemetzel an den Anführern der Wiedertäufer in meiner allernächsten Nähe stattgefunden hatte. Nur mit größtmöglicher Selbstbeherrschung gelang es mir, meinen Magen unter Kontrolle zu halten. Dankbarkeit hin, Dank- barkeit her, ich verfluchte mich für meine Bereitschaft, dem Grafen von Crange behilflich sein zu wollen.

Mit einer weiteren Anstrengung zwang ich mich, die Augen wieder zu öffnen.

In den vergangenen Sekunden war außer dem Zischen des Fleisches kein Laut zu hören gewesen. Weitere Momente vergingen, bis sich etwas von dem Gepeinigten vernehmen ließ, der zur Verblüffung aller zunächst stumm zu bleiben schien. Es war ein hoher, singender Ton, der immer tiefer wurde, dabei anschwoll und schließlich in einem jaulenden Knurren gipfelte, als befände sich kein Mensch, sondern ein Wolf von der Größe eines Bären auf der Plattform.

Dieses wiederholte sich, sooft der Henker mit seinen versengenden Klauen auf sein Opfer zustieß und Stück für Stück verkohlendes Fleisch aus dem zuckenden Körper riss.

Gernot bemerkte meine Reaktion, ohne jedoch etwas dazu zu sagen. Er reichte mir einen Becher herüber, den ich zur Hälfte auf einen Zug in mich hineinstürzte, wobei mir die Stärke des Branntweins vollends gleichgültig war. Dann nahm mich das Geschehen gegen meinen Willen wieder gefangen.

Ich hatte den Eindruck, dass Scharmann, dessen Augen aus ihren Höhlen zu treten schienen und der sich fast verrenkte, um an seinen Schurz zu kommen, kaum bis zum zweiten Teil des tödlichen Spektakels durchhalten würde. Doch nicht ein einziges Mal wurde er bei der Tortur auch nur ohnmächtig noch kam sein Herzschlag zum Stillstand.

Als Brust, Bauch, Arme und Beine nur noch eine blutigschwarze Unförmigkeit bildeten, gab der Richter das Zeichen, zum letzten Akt überzugehen. Hierzu mussten dem Delinquenten alle Fesseln gelöst werden, da es ansonsten nicht möglich war, ihn auf das Rad zu binden.

Nachdem Hals- und Leibreif abgenommen worden waren, sackte Scharmann am Fuße des Pfahls zusammen, was dem Priester eine willkommene Gelegenheit bot, sich erneut ins Spiel zu bringen und um das Seelenheil des Todeskandidaten zu lamentieren. Während das Volk sein Augenmerk verstärkt auf die Henker richteten, die zwei mit Leder bezogene Holzkeulen bereitlegten und an verschiedenen Stellen des Rades Stricke befestigten, blieb mein Blick auf Scharmann haften, dem es nun endlich gelang, von allen anderen unbemerkt etwas aus seinem Lendenschurz zu holen und, als er seine gefalteten Hände wie zum Beten in die Höhe hob, in den Mund zu stecken.

Nachdem sich der Pfaffe glücklich am Ziel wähnte, den Mörder in eine bußfertige Seele verwandelt zu haben, trat er beiseite und ließ der weltlichen Gerichtsbarkeit ihren Lauf. Die Knechte packten Scharmann und schleppten ihn zu dem großen Rad hinüber, auf dem sie ihn in einer Weise festbanden, dass Unterarme und -schenkel über den Rand hinausragten. Ich hatte den Eindruck, dass der Delinquent bei dieser Prozedur mit seinen Augen die Tribüne absuchte, als sich im selben Moment unsere Blicke trafen. Mich solcherart fixierend, versuchte er sich aufzurichten, soweit es seine Fesseln zuließen. Seine Worte drangen so klar herüber, als säße er neben mir.
»Ich war frisches Blut.«

Dann ließ er sich zurücksinken und presste seine Kiefer mahlend aufeinander. Als der Henker, von seiner Wichtigkeit überzeugt und sich der ungeteilten Aufmerksamkeit der Menge gewiss, mit gemessenem Schritt neben das Rad trat, waren Scharmanns Augen blicklos zum Himmel gerichtet. Hieran änderte sich nichts, als der erste Hieb mit der schweren Keule das rechte Schienbein zersplitterte.

Kein Stöhnen, kein Keuchen, kein Wolfsgeheul kam aus Scharmanns Kehle.

Mit jedem Schrei, der ausblieb, wurde die Menge unruhiger. Es brauchte eine Weile und mehrere Schläge auf die knirschenden Knochen, bis der sich um sein Vergnügen betrogen wähnende Pöbel begriff, dass der arme Sünder längst tot war.

»Vielleicht ist er nur ohnmächtig geworden.« Gernot war aufgesprungen, seine Miene verriet seine Verblüffung.

Ich schüttelte den Kopf, weil ich es besser wusste. »Die Sache ist vorbei. Lass uns gehen!« Scharmann hatte mir mit seinen letzten Worten den Dank für das Gift abgestattet, dass ich ihm überlassen hatte. Leider blieb mir ihr Sinn ein komplettes Rätsel.

Mehr war für uns hier in Dorsten nicht zu erfahren.

Als wir uns von unseren Plätzen erhoben, versuchte ich, zum Abschied zum Fiskaladvocaten hinüberzuwinken, doch dessen Aufmerksamkeit war gänzlich von den Vorgängen auf dem Schafott gefangen genommen. Also verließen wir grußlos die Tribüne und zwängten uns durch die Köpfe reckende und Hälse verdrehende Meute, die immer noch nicht begreifen wollte, dass es mit ihrem Vergnügen ein Ende hatte.

Da die Straßen wie leergefegt waren, brachten wir den Weg zur Schenke in kürzester Zeit hinter uns, warfen die Packtaschen auf die Pferde und ritten gen Crange. Nach einem kurzen Galopp, der uns die nötige Distanz zu den Übrigen verschaffen sollte, die nach uns diese Richtung einschlagen würden, ließen wir die Tiere in den Trab fallen und hatten nun Muße, das Gesehene zu verarbeiten.

»Nun, ist er davongeflogen oder hat er sich unsichtbar gemacht? Oder ist er genau so gestorben wie jeder andere arme Teufel in seiner Lage? ? Ich schätze, der Herr von Crange wird sich damit zufrieden geben müssen.«

Gernot konnte trotz allem seine Zweifel nicht verbergen. »Sicher, er ist gestorben wie ein normaler Mensch. Aber es heißt ja auch nicht, dass Werwölfe unsterblich sind. Vielleicht war er durch die Folter einfach zu geschwächt, um seinen ganzen Zauber wirken lassen zu können. Immerhin sah es für mich so aus, als hätte er den Zeitpunkt seines Todes letzten Endes doch selber bestimmt. Wie hat er das gemacht, wenn er über keine übernatürlichen Kräfte verfügt?«

Angesichts dieser Folgerung konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. »Habe ich dich endlich überzeugt, wenn ich dir diesen letzten Punkt erkläre? ? Dann höre mir zu, ohne zu staunen.«

Ich erläuterte ihm die Sache mit dem Gift, das ich Scharmann gegeben hatte, und dass der arme Tropf keine Chance hatte, es zu nehmen, solange er noch die Schellen trug. Letztlich bekehrt schien er jedoch erst, als ich ihm meinen Besuch im Kerker in aller Breite schilderte, insbesondere aber den Zustand, in dem Scharmann sich dort befand, und was er bereits alles hatte erleiden müssen, um in diese körperliche Verfassung versetzt zu werden.

»Also war er kein Werwolf. ? Doch warum hat er dann die drei Menschen gefressen? Ich habe in meinem Leben selber oft Hunger gehabt, wenn dieser Zustand, Gott sei Dank, auch schon lange zurückliegt. Aber Menschenfleisch essen ... pfui Teufel! Mir dreht sich der Magen um, wenn ich nur daran denke.«

»Ich habe auch noch kein Menschenfleisch gegessen und hoffe ebenfalls, dass es so bleiben wird. Indessen, ich habe von gelehrten Herren sowie von einem weit gereisten Handelsfahrer aus Terneuzen gehört, dass es auf der anderen Seite der Welt sehr wohl ganze Völker geben soll, bei denen ein getöteter Feind als die köstlichste aller Speisen gilt und das Verzehren von menschlichen Artgenossen durchaus an der Tagesordnung ist. Nun, wie auch immer, über Geschmack lässt sich nicht streiten. Und noch weniger über Tatsachen, welche nämlich in diesem Fall beweisen, dass Scharmann eindeutig mehrere Menschen getötet und Teile von ihnen gegessen hat. Klammern wir also diese zumindest in unseren Bereichen ungewöhnliche Tischsitte aus, bleibt die Erkenntnis, dass nichts Tierisches oder gar Teuflisches im Spiel war. Was wiederum bedeutet, dass die Leute des Trecks nicht von einem übernatürlichen Wesen getötet worden sind. Dies allein ist die Botschaft, die ich dem Grafen von Crange zu überbringen habe.«

Damit blieb allerdings die beunruhigende Situation bestehen, dass ich dem Grund des Verschwindens kein bisschen näher gekommen war.

Und noch etwas anderes beunruhigte mich. Während der ganzen Zeit auf der Lippewiese hatte ich das Gefühl gehabt, von jemandem beobachtet worden zu sein. Dies allein war sicher nicht schlimm. Was mich daran verunsicherte, war der Umstand, dass ich diesen Späher nicht hatte entdecken können.

Medienecho:
Wenn das Lesen trotz der Gänsehaut noch oder gerade Spaß macht, liegt das an Klimmeks fabulierendem Stil. Für Krimi- und Geschichtsfreunde ist dieser Roman im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen.
>>> WAZ Dorsten

Klimmek verlegt aufs Vergnüglichste Motive der Spannungs- und Kriminalliteratur in eine frühe Epoche. Wie bei Karl May gibt es Hinterhalte. Wie bei Poe, Doyle und Christie gibt es einen unmöglichen Mord. Im Kleinen erlaubt Klimmek sich anachronistische Scherze. Aber bei den Fakten greift er auf Dokumente zurück, da nimmt er es fast zu genau, zitiert im Anhang sogar seine Quellen. Und wie die erwähnten Meister zieht er am Ende doch einen Täter aus dem Ärmel, den man nicht erwartet hatte.
>>> Westfälischer Anzeiger