Leseprobe: Die Grammatik der Druckversion folgt bedauerlicherweise den Regeln der sogenannten Rechtschreibreform. Ich hoffe, das Textverständnis wird dadurch nicht allzu sehr beeinträchtigt.
Mein Rapier hatte ich aus der Scheide gezogen und
neben mich unter die Decke gelegt. Den Rest meiner
Waffen hatte ich deutlich sichtbar an einen Haken in der
Zimmerecke gehängt, dass ich jedem Gegner als arg- und
wehrlos erscheinen musste. Die Falle war gestellt. Jetzt
musste das Wild nur noch hineintappen.
Eine Kerze brennen zu lassen wäre zu auffällig gewesen.
Dafür hatte ich die Läden vor den Fenstern offengelassen,
sodass der Mond wenigstens einen Teil der Szenerie beleuchten
konnte. Ich probierte noch einmal, ob die Tür sich
ohne großen Lärm würde öffnen lassen, dann legte ich mich
ins Bett und wartete.
Während sich meine offenen Augen allmählich an das düstere
Zwielicht gewöhnten, ließ ich mein Vorgehen erneut vor
meinem geistigen Auge passieren. Es versteht sich von
selbst, dass ich niemanden darüber aufgeklärt hatte, dass ich
mit leeren Händen dastand. Stattdessen erging ich mich vor
den erwartungsvoll auf mich gerichteten Augen der Gäste in
vernebelnden Ausführungen, vagen Andeutungen, aber der
festen Beharrlichkeit, dass ich den Mörder seiner gerechten
Strafe zuführen würde. Am kommenden Tag würde es meine
hervorstechende Aufgabe sein, alle Kammern zu durchsuchen
und ein jedwedes Gepäckstück von innen nach
außen zu kehren, um den verschwundenen Schatz aufzuspüren.
Ich missachtete die Einwendungen des Italieners,
die darin kulminierten, als wohlbeleumundeter Meister
eines fremden Landes, der sich nichts hätte zu Schulden
kommen lassen, müsste er sich eine solche Behandlung nicht
gefallen lassen. Ich nahm die Tirade des Kaufmanns zur
Kenntnis, als freier Bürger einer freien Stadt hätte er es nicht
nötig, sich in einen Topf mit Gesindel und Halunken werfen
zu lassen, doch geböte es schon sein reines Gewissen, das
Gepäck seiner Familie und seines Gefolges samt Karren freiwillig
einer Examination zur Verfügung zu stellen. Und ich
erlaubte mir sogar, die skeptischen Blicke meines Gastgebers
zu ignorieren, der eine solche Vorgehensweise gegenüber
den Menschen, die bei ihm um Schutz und Obdach nachgesucht
hatten, offensichtlich degoutierte. Einzig die Landsknechte
wiesen mit einer lakonischen Handbewegung in
Richtung ihrer Kammer und bemerkten, die Überprüfung
ihrer zwei ledernen Gepäcksäcke würde mich wohl nicht
viel Mühe kosten.
Was einzig zählte, war mein Plan, den Mörder aus seinem
Loch zu kitzeln, indem ich ihm das unweigerliche Auffinden
der Beute und damit seine Überführung in Aussicht stellte.
Niemand hatte die Burg verlassen können. Des Nachts war
ohnehin die Brücke hochgezogen und nach dem Auffinden
der Leiche war dieser Zustand auch untertags beibehalten
worden. Außerdem, so hatte mir der Hausherr versichert,
ließe er immer, wenn sich Fremde in der Burg befänden,
nachts die Hunde im Hof laufen. Zweitausend Goldgulden
mussten sich also noch innerhalb dieser Mauern befinden,
und ich hatte angekündigt, sie am nächsten Tage aufspüren.
Wer auch immer sie in Besitz hatte, heute Nacht müsste er
mich töten. In dieser beruhigenden Gewissheit hoffte ich
darauf, wach bleiben zu können.
Es dauerte nach meiner Schätzung etwa eine Stunde, bis
alle Geräusche in der Burg verstummt waren – bis auf jene,
die von ihr selbst stammten. Wenn der böige Wind sie nicht
überdeckte, konnte man es knacken und knarzen hören und
manchmal vernahm man einen Laut, als würde das alte
Gemäuer aufstöhnen über das in ihm begangene Verbrechen.
Ich hätte liebend gern eine vollkommene Stille gehabt, um
den erwarteten Eindringling so früh wie möglich hören zu
können. So musste ich alle meine Sinne anspannen, um nicht
am Ende Opfer meines eigenen Plans zu werden.
Hin und wieder war der Ruf einer Eule aus dem nahen
Emscherbruch zu vernehmen und mehrmals flatterten
Nachttiere an meinem Fenster vorbei. Nach meiner Schätzung
befand ich mich in der Mitte zwischen dem Einbruch
der Dunkelheit und dem Morgengrauen.
Und dann passierte mir das, was nie und nimmer hätte
geschehen dürfen. Ich schlief ein. Ich will hier gar nicht erst
versuchen, die Schuld für mein Versagen auf den anstrengenden
und viel zu langen Ritt, den fehlenden Schlaf aus der
Nacht zuvor oder gar auf den quengelnden Hillink abzuwälzen,
der sich unaufhörlich über den miserablen Zustand
des Weges beschwert hatte. Es gibt keine Entschuldigung für
eine solch tödliche Dummheit. Frederik von dem Kerkhof,
des Bischofs bester Mann, hatte sein Leben als Köder angeboten
und war dabei eingeschlafen!
Was mich aus den Träumen riss, kann ich im Nachhinein
nicht mehr angeben. Vielleicht war es ein ungewöhnlich lautes
Knarren der Diele, vielleicht ein in den Jahren verschärftes
Gespür für die Gefahr, vielleicht ein siebenter Sinn, möglicherweise
eine Mischung aus allem. Ich sah aus den kaum
geöffneten Augen einen Schatten auf mein Gesicht herabstoßen
und schaffte es gerade noch, meinen Kopf zur Seite zu
drehen. Deshalb zuckte die Klinge eines kurzen Messers mit
doppelter Schneide um weniger als eine Fingerbreite an meinem
Hals vorbei und schlitzte statt meiner Kehle das Kopfkissen
auf. Das Rapier unter der Decke hervorzuziehen war
keine Zeit. Außerdem wäre diese Waffe bei einem Kampf
aus nächster Nähe eher hinderlich.
Lange Überlegungen konnte ich ohnehin nicht anstellen,
denn schon wieder schoss der scharfe Stahl aus dem Dunkel
auf mein Gesicht zu. Reflexartig griff ich in den Schatten und
bekam den Arm knapp unterhalb der Hand zu fassen. Obwohl
die vermummte Gestalt alle Anstrengungen unternahm,
die Klinge auf mich herunterzudrücken, kam sie mir
kein Stück näher. Ich merkte sofort, dass ich dem Attentäter
an Kraft weit überlegen war. Das half mir im Moment jedoch
nicht viel, weil ich meine andere Hand benötigte, meine
Augen zu schützen, auf die er mit klauenartigen Nägeln
niederfuhr. Endlich gelang es mir, auch diese Hand zu
packen, doch konnte ich nicht viel ausrichten, da das Messer
immer noch bedrohlich über mir schwebte.
Obwohl ein ungläubiger Thomas, habe ich später noch oft
ein Dankgebet zu meinem alten Lehrmeister Berthold geschickt.
Er hatte mich so gedrillt, dass verschiedene Verteidigungen,
die ich längst vergessen wähnte, im Falle höchster
Not wieder präsent waren. So wandte ich auch jetzt, als ich
in dem Handgemenge schließlich die hinderliche Decke von
mir heruntergestrampelt hatte, die Technik an, die wir den
Mönchstritt genannt hatten. Ich trat meinem Angreifer
kunstgerecht zwischen die Beine.
Die Wucht hob den leichtgewichtigen Burschen ein ganzes
Stück in die Höhe, brachte ihn jedoch nicht dazu, seine verkrallte
Hand zu lockern oder den Dolch freizugeben, entlockte
ihm nicht einmal einen Schmerzensschrei.
Entweder hatte der Bursche ein Gemächte aus Stahl oder
er war ein Eunuch.
Ich probierte den Tritt erneut, legte diesmal aber mein Ziel
mehr auf das Hochschleudern der Gestalt als auf eine
Schmerz erzeugende Wirkung. Gleichzeitig warf ich mich
nach rechts und stieß den Vermummten mit Macht zur linken
Seite. Er flog in hohem Bogen durch die Luft und landete
mit schwerem Aufschlag auf seinem Rücken. Die Zeit, in
der er nach Atem rang, nutzte ich, um aus dem Bett zu springen,
mein Rapier zu ergreifen und es gegen den noch immer
halb benommen am Boden Liegenden zu schwingen.
In diesem Augenblick wurde mein Waffenarm von hinten
ergriffen und eine Stimme flehte auf lateinisch in mein Ohr:
»Bitte nicht, mein Herr, habt Erbarmen! Sie hat es doch nur
aus Liebe getan, um mich zu schützen.«
Es war der Italiener, dessen Gesicht dem meinen so nahe
war, dass ich die Tränen in seinen Augen sehen konnte.
»Gott sei dank ist Euch nichts passiert. Herr im Himmel, sie
hat mir nichts von ihrem Plan gesagt, weil sie wusste, dass
ich es nie zulassen würde. Aber ich habe es geahnt und bin
trotzdem eingeschlafen, sodass sie sich fortschleichen konnte.
Verzeiht mir, dass ich versagt habe.«
Wenn ich mir selbst mein Einschlafen schon verziehen
hatte, konnte ich ihm wohl kaum einen Vorwurf machen.
Doch schlau wurde ich aus seinem Verhalten nicht.
DellaCroce ließ meinen Arm los und hockte sich neben seinen
kleinen Gehilfen, der mit Mühe wieder zu Atem kam.
Ihm war die Kapuze vom Kopf gerutscht, und als ich eine
Kerze entzündet und näher zu den beiden getreten war,
bemerkte ich die lange, schwarze Lockenpracht, die sich auf
den Dielen ringelte.
Mein Angreifer war eine junge Frau.
DellaCroce hatte sie angehoben und in den Arm genommen,
während er in seiner Muttersprache beruhigend auf sie
einredete. Ich war froh, auf diese Weise etwas Zeit zu gewinnen,
um meine Gedanken ordnen zu können, und nahm statt
des Rapiers eine meiner Pistolen zur Hand. Als sich die Frau
so weit erholt hatte, dass sie sich aus eigener Kraft aufrichten
konnte, bedeutete ich den beiden mit einem Wink meiner
Waffe, sich auf das Bett zu setzen, was auch widerspruchslos
geschah.
»Und nun erzählt!«
Das blutjunge Weib hatte sich an DellaCroce geklammert
und starrte schweigend vor sich hin. Der Italiener musste
sich ein paar Mal räuspern, bis er seine Worte fand. »Beatrice
ist meine Frau. Sie wollte verhindern, dass Ihr unser Gepäck
durchsucht, die Beweise finden und uns dann töten würdet.«
So hatte ich es ja auch geplant. Allerdings wollte ich das
mit dem Töten dem Bischof überlassen.
Ich setzte mein gemeinstes Grinsen auf. »Brav, brav! Ein
schönes, knappes Geständnis. Jetzt muss ich nur noch wissen,
auf welche Weise ihr zwei den Boten ermordet habt.«
DellaCroce hob den Kopf und sah mir direkt in die Augen.
»Wir haben ihn nicht ermordet. Wir wissen überhaupt nichts
davon.«
Ich hielt ihm die Pistole dicht vor die Brust. »Wir waren
doch gerade so wunderbar bei der Wahrheit. Ihr Schurken
reist in Verkleidung durch das Land, deine Frau versucht
mich meuchlings umzubringen, weil sie befürchtet, dass
ich das gestohlene Gold finden würde, und du willst plötzlich
...«
»Nicht das Gold – das Glas!«
Das musste ich dem Kerl lassen, er war wieder für eine
Überraschung gut. »Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Zum
Teufel, was für ein Glas? – Am besten, du erzählst von
Anfang an. Und eines sage ich dir, spar dir jede Lüge! Der
Herr von Crange wird über die geeigneten Mittel verfügen,
die Wahrheit aus dir herauszuholen.«
Er musste sich wieder räuspern. »Nun gut, auch wenn es
meinen Tod bedeutet. Aber verschont meine Frau. Sie kann
nichts verraten, sie kennt die Geheimnisse nicht.«
|