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Der schwarze Peter

Das war nun schon der fünfte Tag, an dem der schwarze Peter nicht nach Hause gekommen war. Markus und Sabine waren am Boden zerstört. Sabine hatte bereits nach dem ersten Tag mit dem Heulen angefangen und nur kurze Unterbrechungen in der Zeit eingelegt, wenn sie in der Schule war. Markus, mit vierzehn ein Jahr älter als seine Schwester und damit der Erwachsene in der Verbindung, war pragmatischer vorgegangen und hatte die Nachbarschaft abgeklappert, dann die weitere Umgebung, zum Schluß sogar die älteren Schüler befragt, die am Wochenende schon in die einzige Disco des Städtchens durften. Alles ohne Erfolg. Bei manchen Typen hatte er sich obendrein blöde Kommentare abgeholt. Die pseudointellektuelle Scheißerbande, meistens Mädchen um die achtzehn, kam ihm mit Sprüchen wie: "Wie, um eine Katze machst Du Dir Sorgen? Was ist mit den hungernden Kindern in der dritten Welt?" Die Dorftrottel schüttelten nur den Kopf und gaben ihm ein: "Verpiß Dich, Mann!" mit auf den Weg. Am schlimmsten aber war der Spruch vom Schicki-Micki-Klaus, dem selbsternannt schönsten Mann des Ortes. Der war schon einundzwanzig und hatte von Vaters Gnaden einen Porsche der Sekretärinenkategorie, einen uralten 924, der die Unwiderstehlichkeit seines Fahrers gewährleisten sollte. Sein "Hej Kleiner, zeig doch mal ein bißchen weltmännisches Gespür und gib der internationalen Küche am Platze eine Chance!" war ein deutlicher Hinweis auf das koreanische Lokal, daß vor zwei Monaten geöffnet hatte und fast täglich in der Zeitung mit original ostasiatischen Spezialitäten warb, ohne sie näher zu definieren.

Markus mußte heimlich zugeben, daß die Chancen, den schwarzen Peter lebend wiederzusehen, nicht besonders rosig waren. Vor drei Jahren und zwei Monaten war ihnen der Kater zugelaufen, damals noch halbwüchsig und unversehrt. In der Folgezeit hatte er sich bei ihrer Pflege zu einem ziemlichen Brocken gemausert, der gerne herumstreunte. Das hatte ihm ein eingekerbtes Ohr und einen Knick im Schwanz eingebracht, aber alle Revierkämpfe hatten ihn nicht davon abhalten können, jeden Abend pünktlich um sieben wieder da zu sein. Heute war der fünfte Tag seiner Abwesenheit, und während Markus, als gerade keiner guckte, eine kleine Träne zerdrückte, mußte er sich eingestehen, daß das blöde Gequatsche vom doofen Schicki-Micki-Klaus einen durchaus realen Hintergrund hatte. Der Freßtempel der Schlitzaugen war nämlich jeden Tag ausgebucht, und das überwiegend von auswärtiger, asiatischer Kundschaft. Und was diese Kerle mit Hunden und Katzen anstellten, wußte man ja. Markus verzichtete vernünftigerweise darauf, sich das bildlich auszumalen, sonst hätte er noch in aller Öffentlichkeit zu weinen angefangen.

Und dann kam aus heiterem Himmel der entscheidende Tip: "Kümmer Dich doch mal um den blöden Kurt!" Einer, der im Tierheim arbeitete, hatte ihm das geraten. Der blöde Kurt war der Dorfdepp schlechthin. Er lebte in einem ehemaligen Schober am Rand des Ortes, eher schon auf den Feldern. Es gab zwar elektrisches Licht, aber Wasser mußte er sich von einem Brunnen holen, den er selber gebohrt hatte. In unserem funktionierenden Sozialstaat brauchte auch er nicht zu verhungern. Viel mehr als diese monatliche Minimalzuwendung hatte ihm das Leben jedoch nicht zu bieten. Er war mit einem hängenden Augenlid zur Welt gekommen, und die Natur hatte ihn vor der Zeit skalpiert. Geistig war er so rege, daß ihn jeder Wellensittich im Kopfrechnen schlagen konnte. Als alle noch klein waren, liefen die Mädchen vor ihm weg. Als er größer wurde, riefen sie ihm Spötteleien hinterher. Danach wurde er einfach von allen ignoriert. Man registrierte seine Existenz nur noch dann, wenn er zweimal im Monat mit seinem Bollerwagen durch den Ort zog und leere Flaschen und andere Dinge sammelte, die er zu Geld machen konnte.

Markus nahm den Hinweis zunächst nicht ernst. Ihm schwante das Schlimmste, und deshalb hielt er es für besser, immer, wenn es seine Zeit erlaubte, das koreanische Spezialitätenrestaurant zu beobachten. Ihm fiel der blöde Kurt erst wieder ein, als der eines Abends mit einem Sack unter dem Arm durch den Hintereingang in das Lokal ging. Heraus kam er nach fünf Minuten ohne Sack.

Das war Anlaß genug für Markus, die Behausung des blöden Kurt einmal näher in Augenschein zu nehmen, als dieser seine vierzehntägige Sammelrunde drehte. Er tat so, als wollte er in den Wald, um spazierenzugehen. Am Waldrand bog er dann in scharfem Knick ab und pirschte sich von der dem Städtchen entgegengesetzten Seite an die Bude heran.

Er klopfte zur Vorsicht an die Tür und rief mehrere Male "Hallo?" Als sich nichts rührte, probierte er die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen. Sie führte direkt ins Wohnzimmer. Was er dort sah, überwältigte ihn. Zuerst glaubte er, dem blöden Kurt Unrecht getan zu haben. An die zwanzig Katzen saßen, standen oder lagen im Zimmer. Alle in typischen Posen: zum Schlafen eingerollt, sprungbereit, auf der Fensterbank balancierend, nach einem imaginären Vogel schnappend. Markus bewegte sich nicht. Die Katzen auch nicht. Er brauchte eine Weile, um zu kapieren, daß alle ausgestopft waren.

Im Moment der Erkenntnis stieß er einen halberstickten Schrei aus und rannte auf kürzestem Weg nach Hause, immer das gleichermaßen furchtbare und faszinierende Bild der im Tode so lebendigen Katzen vor Augen.

Erst nach Stunden hatte er sich so weit beruhigt, daß er Sabine möglichst schonend von seiner Entdeckung berichten konnte, aus der er den einzig richtigen Schluß zog, daß der blöde Kurt Katzen fing, um seine Sozialhilfe aufzubessern. Er brachte sie um und verkaufte das Fleisch an die Schlitzaugen. Die Überreste stopfte er in seinem Wahn aus und dekorierte seine Bude damit. Markus erinnerte sich außerdem genau, daß sich der Sack bewegt hatte. Also war eine lebende Katze darin gewesen. Das hieß, er bracht nur die schönsten Katzen bei sich um. Andere, mit Fellschäden oder ähnlichem, kamen leben zu den Schlitzaugen, die sie immer noch lebend in kochendes Wasser warfen.

Sabine nahm das ganze erstaunlich gefaßt auf. Ihr Entschluß stand fest. "Laß uns zu dem Alten von da oben gehen!"

Der von allen Leuten nur der Alte von da oben genannte Mann war ein aus seiner Sicht uralter Greis, der ein paar Kilometer weit weg oberhalb des Dorfes am Rande des Wiehengebirges in einem Herrenhaus lebte, dessen Fundament noch Wittekind persönlich hatte errichten lassen. Er pflegte Kontakt mit niemandem, vergraulte jeden neugierigen Nachbarn mit seiner abweisenden Art, grüßte keinen, und war trotzdem der Mann, bei dem der Sparkassendirektor den Boden küßte, auf den er seinen Fuß gesetzt hatte. Man wußte nicht genau, wie reich er war, aber man munkelte, er wäre so reich, daß er sich aufs Klo setzen könnte und Goldnuggets kämen raus. Was man genau wußte, war, daß er überaus tierlieb war. Er hatte den Bau des lokalen Tierheims finanziert und unterhielt dessen Betrieb praktisch alleine, auf seinem riesigen Grundstück war es jedermann verboten, auf Tiere zu schießen, und in seinem eigenen Haus beherbergte er mehrere Dutzend Katzen, alles von andern mißhandelte, weggeworfene Kreaturen. Kinder dagegen konnte er nicht ausstehen, wie die Klassenkameraden von Markus zu berichten wußten, die mehr als einmal von seinem Grundstück verjagt worden waren. Deshalb meinte Markus, seine Schwester müßte mit den vielen Tränen der letzten Tage auch einiges an Verstand losgeworden sein.

Da er aber mit keinem besseren Plan dienen konnte und Sabine in der Erwartung seiner Ablehnung zu der angeborenen Wunderwaffe aller Frauen griff und gleich wieder zu heulen anfing, schlich auch er sich aus dem Haus, schwang sich nolens volens auf sein Fahrrad, und eine halbe Stünde später standen sie vor dem schmiedeeisernen Tor des zweimeterfünfzig hohem Stahlzaunes, der den eigentlichen Kern des Grundstücks umgab. In den rechten steinernen Torpfeiler war eine Sprechanlage eingelassen, auf deren Klingel Sabine drückte. Markus war die Sache immer noch nicht geheuer und er hielt sich ein Stückchen abseits.

Man hörte kein Läuten und auch kein Knacken im Lautsprecher. Statt dessen trat überraschend ein hünenhafter Mann aus dem Dunkel hinter dem Pfeiler. Markus war so erschrocken, daß er schon hundert Meter weit weggerannt war, bevor ihm seine Schwester wieder einfiel. Als er sich umdrehte, sah er sie im Schein der schwachen Torbeleuchtung neben dem Mann stehen, wie sie ihm energisch zuwinkte, zu ihr zu kommen. Sein brüderliches Verantwortungsbewußtsein siegte über die Vernunft, und er marschierte zurück.
..........

Mein Name ist Klaus Schulze ... oder Peter Müller ... oder Hans Meier, je nachdem. Im Moment ist Hans Meier mein Favorit.

Ich hatte meinen Wagen auf dem Hauptparkplatz des Hermannsdenkmals abgestellt und wartete auf den Mann, mit dem ich mich verabredet hatte. Es war ein angenehmer, sonniger Frühlingstag, und ich hatte den gefütterten Wintermantel mit einer Lederjacke vertauschen können. Das will bei mir viel heißen, denn nach meinen Jahren in der Hitze Afrikas friere ich hier sehr leicht. Früher war das anders gewesen, als ich kaum aus Deutschland rausgekommen war. Sohn aus gutbürgerlichem Hause, Vater Arzt, Abitur, abschließendes Medizinstudium, alles darauf angelegt, irgendwann die Familienpraxis zu übernehmen. Dann die große Kulturrevolution der späten Sechziger, viele Demonstrationen, noch mehr Feten, noch weniger Lust zum Studieren. Ich schmiß die Uni, versaubeutelte mir damit meine Beziehungen nach Hause und natürlich auch den monatlichen Scheck, und bevor ich mich irgendwo hin absetzen konnte - Amsterdam wäre nicht schlecht gewesen, London ein Traum - hatte mich die Bundeswehr am Wickel. Nach den knapp zwei Jahren stand ich da, ich konnte ein Eßbesteck reinigen, Bettenmachen und schießen. Im grauen Alltag langte das aber weder zu einem Job als Oberkellner im Grand Hotel noch als Leiter einer Nobelherberge noch als Geheimagent im Dienst Ihrer Majestät. Ein Major, der zur gleichen Zeit in den Sack haute, als ich meinen Wehrdienst um hatte, kam auf den Bolzen, wir beide sollten in unserem erlernten Tötungshandwerk als freischaffende Künstler nach Afrika gehen, ich könnte immerhin Englisch und Französisch und mit meinen medizinischen Vorkenntnissen Leute zusammenflicken. Mit dem Abmurksen würde er sich selber ganz gut auskennen, und also warum sollten wir es nicht mal auf dem schwarzen Kontinent versuchen.

Ich kannte Afrika bis dahin nur aus Schmökern, die Rolf Torrings Abenteuer hießen, die schon mein Vater gelesen hatte, und bei denen der Stückpreis noch per Hand von dreißig auf vierzig Pfennig überstempelt war. Aber gerade weil die Idee so idiotisch war, gefiel sie mir. Sechs Wochen später waren wir in Afrika. Der Krawall im Kongo war natürlich längst passé, aber von Angola bekamen wir noch ein bißchen und von Biafra sogar eine ganze Menge mit. Mein Freund und ehemaliger Vorgesetzter fühlte sich von Anfang an wie Pippi im Taka-Tuka-Land, wohingegen ich mich bei unseren ersten Aktionen noch ziemlich bekotzte. Aber selbst ich gewöhnte mich an das Söldnerleben und brachte das Kunststück fertig, aufgrund meiner Vorbildung mit praktisch jedem meiner Kameraden zurecht zu kommen. Die Normalen waren mir dankbar, weil ich sie in wirklich brenzlichen Situationen zusammengenäht hatte, als sie es ohne meine Hilfe nicht mehr lebend bis ins Camp geschafft hätten. Und die verrücktesten Freaks liebten mich, weil ich ihnen zeigen konnte, wie man die abgeschnittenen Ohren der getöteten Gegner präparieren mußte, um sie als Kette tragen zu können. Ich kotzte auch zu der Zeit noch manchmal, aber mein Überlebenstrieb ging vor, und die Burschen deckten mich für meine Tips mit reichlich Whisky ein.

Irgendwann ging der Spaß vorbei, wir zogen rüber nach Südafrika und bewachten die Farmen einiger Buren. Als sich die Aufhebung der Apartheid abzeichnete, war endgültig Sense da unten. Mein Major hatte so viel auf der hohen Kante, daß er sich selber etwas Grund und Boden kaufen konnte. Ich, der ewige Bruder Lustig, hatte vor Buchung der Heimreise siebentausendfünfhunderteinundzwanzig Dollar und fünfzehn Cent auf dem Konto. In Deutschland waren es keine zweitausend mehr.

Weil mir die Rolle des reuigen Sünders nicht liegt, erst recht nicht die des verlorenen Sohnes, meldete ich mich erst gar nicht bei meiner Familie. Mein erster Job war Türsteher in einer Bar in Hannover. Ich hielt es nur drei Monate aus, weil es für meine Begriffe zu viel platte Nase für zu wenig Heuer gab. Dann ein Jahr auf dem Bock für eine Spedition, die Blumen aus Holland holte. Das war mir auf die Dauer zu langweilig. Deshalb begann ich, auch hier in Deutschland wieder in der Branche zu arbeiten, die ich meine "afrikanische" nannte. Beim dritten Mal waren mir die Polypen so dicht auf den Fersen, daß ich wieder ins Biedermeiermilieu abtauchen mußte. Daher der Wechsel aufs Taxi mit Wohnort Detmold. Wenigstens hat man viel Zeit zum Lesen. Dabei bin ich auf die Annonce gestoßen: "Person aus dem Ermittler-/Detektivbereich gesucht, die selbständig in Streßsituation bestehen kann. Beste Bezahlung." Die Anzeige stand nicht etwa im Soldier of Fortune, sondern tatsächlich in der Frankfurter. Vom ermittlerischen Detektivbereich hab ich keinen Schimmer, aber Streßsituationen kenne ich aus dem eff-eff, und beste Bezahlung brauchte keiner nötiger als ich.

Deshalb hatte ich angerufen und um den Job gebeten. Zum ersten Vorgespräch war ich hierhin beordert worden. Da ich nicht ganz blauäugig durch die Welt laufe, hab ich mich über die Telefonnummer etwas kundig gemacht. Viel ist dabei nicht herausgekommen, aber immerhin so viel, daß mein Auftraggeber in spe ein unltrareicher Bursche war. In diesem Sinne hoffte ich auf die Zukunft.

Pünktlich auf die vereinbarte Minute rollte ein silbergrauer Audi A 8 auf den nur zu einem Viertel besetzten Parkplatz. Drei Mann stiegen gleichzeitig aus. Der Chauffeur, ein riesenhafter, muskulöser Typ in mittelgrauem Anzug und ohne die lächerliche Mütze, blieb neben der Fahrertür stehen. Vom Rücksitz kam ein älterer Mann, dessen genaues Alter nicht zu schätzen war. Braungebrannt, weiße Haare, die in Künstlermanier wild seinen Kopf umstanden, weißer, gestutzter Schnurrbart. Er trug einen dunkelblauen Anzug, ein hellblaues Hemd mit stahlgrauer Fliege, dazu mattpolierte schwarze Schuhe. In der Hand hielt er einen schwarzen Spazierstock, dessen silberne Krücke die Form eines Schwans hatte. Er bewegte sich so leichtfüßig, daß er das Ding als Gehhilfe nicht nötig hatte.

Er sah sich einmal kurz um und kam dann direkt auf mich zu.

Ihm folgte der Kerl vom Beifahrersitz. Sein Leibwächter, das heißt, in seinen Kreisen nennt man ihn wohl Sekretär. Nur etwa einssiebzig groß, höchsten fünfundsechzig Kilo schwer, elegante, aber unauffällige Kleidung, unter der sich keine dicken Kanonen abzeichneten. Nach dem Fall seiner Hose im Wadenbereich vermutete ich, daß er dort ein Holster trug, in das bloß eine Sechsfünfundreißiger paßte. In einer Zeit, in der wir von früheren KGBlern und Securitateleuten aus dem Osten überschwemmt werden, für die selbst eine Scorpio nur in der Erbsenpistolenklasse rangiert, war er als Leibwächter entweder besonders leichtsinnig oder besonders klasse. Nach dem Gesamtbild der Drei schied ich ersteres aus.

Der Alte stellte sich mir mit "Deilheimer" vor. Der Mann hatte soviel Stil, daß ich auf meine üblichen Alias-Namen verzichtete und für ihn ein "Roger Martinsen" aus meinem geistigen Adressenverzeichnis holte.

"Sie haben sich bestimmt über mich erkundigt."

"Habe ich. Sie sind so reich, daß Sie es sich leisten können, auf einen Rolls Royce zu verzichten und zur Not auch noch Bill Gates und den Sultan von Brunei zusammen Lambada tanzen zu lassen."

"Und weiter?"

"Nichts weiter. Sie wollen zurückgezogen leben. Und wenn einer mit wirklich viel Geld das will, dann erfährt man über ihn nur, daß er wirklich viel Geld hat."

Das schien ihm zu gefallen. Auf seinem von hauchdünnen Falten überzogenen Gesicht erschien die Andeutung eines Lächelns. "Gehen wir ein Stück!" Dabei zeigte er mit dem Stock in Richtung Denkmal.

Als wir an einer kleinen Hütte vorbeikamen, ergriff er erneut das Wort: "Hier hat der Erbauer des Denkmals gewohnt, ein von Bandel. Die Bauzeit dauerte von 1839 bis 1875 ..."

Und so ging es dann in einer Tour weiter. "... Statue selber sechsundzwanzig Meter hoch, der Rundtempel darunter dreißigkommasieben ... bla, bla ... zeigt Hermann den Cherusker ... eigentlich Armin ... bla, bla, bla ... hat neun nach Christus die Römer geschlagen unter Varus ... bla, bla, bla, bla."

Ich ließ es an mir vorbeirauschen, ohne ihn zu unterbrechen. Langsam arbeitete er sich an die Sache heran. "Mein Wunsch, einen fähigen ... oder sagen wir besser zu allem fähigen Mann zu treffen, fußt im wesentlichen auf zwei Gründen. Erstens, ich halte nicht viel von dem neumodischen multikulturellen Quatsch. Geht es nur um Kunst oder Kulturaustausch, bitte sehr, nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn türkische Volkstänze so aussehen, daß zehn Männer mit Messern hinter einer Frau herrennen oder der italienische Nationalsport darin besteht, daß man von einem vorbeirasenden Motorrad aus Handtaschen wegreißt, fehlt mir jedes Verständnis. Es wird Zeit, daß sich die Deutschen wieder auf ihre eigene Kultur und ihre Rasse besinnen."

Oho, war ich da etwa dem späten Abkömmling eines frühen Dr. Mengele begegnet? Sicher hatte er auch deshalb diese Blut-und-Boden-Stelle für unser Treffen ausgewählt.

"Zweitens, ich liebe Tiere, insbesondere Katzen. In meiner frühen Jugend, die nicht durchgehend erfreulich war, war über Jahre eine Katze mein bester Freund. Immer zuverlässig, immer für mich da. Das werde ich nie vergessen. - Ich hoffe, ich erscheine Ihnen nicht zu sprunghaft, wenn ich nun sage, daß sich für mich ein gewisses Problem auftut, das darin besteht, daß in der Ortschaft, die meinem Anwesen am nächsten gelegen ist, ein koreanisches Spezialitätenlokal geöffnet hat. Wissen Sie, daß diese ..." er mußte lange überlegen, bis er sich zu der Vokabel Menschen durchringen konnte "... diese Menschen Hunde und Katzen essen, und wie sie sie schlachten?"

Ich nickte nur stumm.

"Meiner Ansicht nach ist das unhaltbar, noch dazu in diesem Teil der Welt. - Hinzu kommt, daß vier meiner eigenen Katzen verschwunden sind. Das Faß zum Überlaufen brachte schließlich der Besuch zweier Kinder aus dem Ort, deren Katze ebenfalls verschwunden ist. Dazu müssen Sie wissen, daß ich in der Gegend nicht sonderlich beliebt bin und Kinder mich geradezu fürchten. Was müssen diese beiden bei der Vorstellung, was mit ihrem Tier geschehen sein könnte, gelitten haben, daß sie sich zu einem solchen Schritt entschlossen! - Nun, kurz und gut, ich will hinter dem Mut dieser Kinder nicht zurückstehen und werde nicht umhin können, mich in dieser Angelegenheit zu engagieren. Daher meine Annonce. Es muß dringend etwas geschehen, um die gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen und Tierquälereien zu unterbinden. Und dazu müssen diese Koreaner weg. Grausamkeit gegen Tiere ist eines der kennzeichnendsten Laster eines niederen und unedlen Volkes. - Schauen Sie mich nicht so an, als sei ich ein Relikt des dritten Reiches. Ich habe nur Alexander von Humboldt zitiert. - Noch etwas. Die Koreaner haben einen Zulieferer, einen ortsansässigen Idioten mit Namen Kurt Barop. Der muß ebenfalls in die Aktion mit einbezogen werden, und zwar sehr intensiv."

Wir hatten den Cheruskerfürsten inzwischen umrundet und blieben kurz stehen. "Sie wissen jetzt, worum es mir geht. Erzählen Sie mal ein bißchen von sich, damit ich mir ein ungefähres Bild machen kann, ob Sie für die Sache überhaupt geeignet sind."

Ich gab ihm die Kurzfassung meines Lebenslaufs. Als ich die Litanei heruntergebetet hatte, macht er einen ganz zufriedenen Eindruck.

"Also gut, Sie können für mich tätig werden, falls Sie es wünschen, und zwar zu folgenden Konditionen: ich erstatte alle vernünftigen Spesen, zahle jedoch nur ein Grundhonorar von einhundert Mark pro Tag."

Bevor ich ihn unterbrechen konnte, wedelte er meine möglichen Einwände mit einer Hand beiseite. "Ich weiß, daß das ein lächerliches Trinkgeld ist, aber bei Leuten, die nicht fest für mich arbeiten, halte ich sehr viel von erfolgsbezogener Entlohnung. Deshalb sollten Sie mir weiter zuhören. Ich zahle Ihnen auf ein von Ihnen angegebenes Konto im In- oder Ausland oder aber in bar die Summe von zwanzigtausend Mark, wenn Sie allen Beteiligten nachhaltig auf die Finger klopfen. Sie erhalten hunderttausend, wenn Sie das Problem ein für allemal aus der Welt schaffen. Und eine Million, wenn Sie es so machen, daß für alle Zeiten niemand mehr auch nur im Traum daran denkt, sich an meinen Katzen zu vergreifen."

Eine Million! Eine Million festverzinslich angelegt bedeutete für einen Mann meines Lebenszuschnitts, daß ich bis ans Ende meiner Tage nie wieder arbeiten mußte und mir sogar einen Typen leisten konnte, der mir in der Nase bohrte, wenn ich zu faul dazu war.

Bei diesem Gedanken mußte mein Gesichtsausdruck so geistreich gewirkt haben, daß ich Quasimodo mühelos den ersten Platz bei der Wahl des Narrenkönigs streitig gemacht hätte. Jedenfalls mußte mein Gesprächspartner und neuer Arbeitgeber laut lachen. Danach bekräftigte er: "Sie können mich getrost beim Wort nehmen. Ich meine alles so, wie ich es gesagt habe."

Ich beeilte mich, ihm zu versichern, daß ich mein möglichstes tun würde.

"Dann ist ja alles in bester Ordnung. Sie brauchen mich nicht anzurufen, ich werde auch so wissen, wenn es erledigt ist. Für den Fall, daß ich zufrieden bin, wie wollen Sie Ihr Geld?"

"Ich mißtraue allen Geldinstituten. - In bar, wenn es geht."

"Das ist eine sehr vernünftige Einstellung, mein Freund. - Alsdann, leben Sie wohl." Dabei drückte er mir einen Tausender als Vorschuß für zehn Tage in die Hand.

Er drehte sich um und war schon mit seinem Wagen verschwunden, als ich mir noch im Schatten des grünspanüberzogenen Helden ausmalte, wie mein Leben mit einer Million in bar verlaufen könnte.

Am nächsten Tag kutschierte ich kurz durch das Dorf, um ein Gespür für die Örtlichkeiten zu kriegen. Die Hütte von Kurt Barop fand ich ohne Mühe, und bei den Koreanern ging ich einmal essen. Alles so, wie ich es mir nach meinem Gespräch mit Deilheimer vorgestellt hatte. Deshalb wußte ich ziemlich schnell, wie ich die Sache angehen mußte, denn bei einem so verlockenden Angebot wollte ich nicht nur auf den schlappen Zwanzigtausend hängenbleiben.

Besondere Aufgaben erfordern besondere Männer. Ich hängte mich ans Telefon und versuchte, Otto Dönninghaus an die Leitung zu kriegen. Otto war früher Hauptmann in der nationalen Volksarmee der DDR und Sprengstoffexperte. Unter Gefahr für Leib und Leben hatte er schon ein paar Jahre nach dem Mauerbau "rübergemacht", wie er es nannte. In Biafra war er für uns alle nur "Dr. Semtex", weil er mit dem Zeug so präzise arbeitete wie ein Chirurg. Er konnte dir dein Auto unter dem Arsch wegsprengen, ohne daß du die Kardanwelle in den Hintern bekamst.

Eine ganze Zeit lang war er mit Sicherheit über die Kneipe von Ginger Allen in Brüssel zu erreichen, wo sich viele von uns rumtrieben. Dann hatte er sein Faible für Holland entdeckt und nahm seine tägliche Alkoholration im Carrousel zu sich, einer Pinte in Venlo, die voller Musikinstrumente hängt und von einem ehemaligen Karnevalsprinzen betrieben wird. Ich hatte Glück und ihn nach einer Minute am Hörer. Wir vereinbarten, daß ich am nächsten Tag zu ihm kommen würde, weil man derartige Dinge besser nicht am Telefon erörtert.

Zweimal stand ich in dem mittlerweile üblichen Stau und brauchte so rund drei Stunden bis Venlo. Ich trank im Carrousel noch kurz ein Bier mit, dann machten wir uns auf den Weg quer durch die Altstadt zum Ufer der Maas. Dort spazierten wir gemächlich entlang wie zwei Frührentner, deren größte Sorge eine Erhöhung des Eigenanteils für Zahnersatz ist. Zwanzig Minuten später waren wir uns einig, Festpreis Dreißigtausend, Aktion nur nachts bei leerem Lokal, keine Toten. - Ich fuhr beruhigt zurück.

Auf der Rückfahrt überlegte ich mir, was ich mit Kurt Barop anstellen würde. Auch insoweit kam ich schnell zu einer Entscheidung.

Wieder in Detmold, rief ich Deilheimer an. Bevor er etwas vom Stapel lassen konnte, sagte ich: "Ich weiß, daß kein Kontakt mehr hergestellt werden sollte, aber damit alles eine nachhaltige Wirkung hat, müssen die Koreaner wissen, aus welcher Richtung der Wind weht. - Im Fernsehen lief vor ein paar Jahren mal ein Film, den sie mit versteckter Kamera aufgenommen hatten. Die haben gezeigt, wie Koreaner einen Hund schlachten. Hat einigen Wirbel ausgelöst, der Streifen. Können Sie davon eine Kopie besorgen?"

Deilheimer überlegt. "Hmm, möglicherweise kann ich das. Aber würde nicht auch ein Foto genügen, das eine Schlitzaugenfamilie beim Picknick zeigt, und in den Bäumen hängen die Hunde? Ich hab sowas eine Zeit massenhaft von einer Tierschutzorganisation zugeschickt bekommen."

"Prima, das genügt. Sorgen Sie bitte dafür, daß der Restaurantbetreiber das Material in vier Tagen in Händen hält. Genau in vier Tagen, das ist wichtig."

"Kein Problem." - Wir verabschiedeten uns.

Drei Tage nach diesem Telefonat war Otto Dönninghaus der letzte Gast im Spezialitätenlokal. Als er den Laden kurz vor Mitternacht verließ, klebte eine mit Zeitzünder versehene Bombe unter der Platte des Tisches, der dem Durchgang zur Küche am nächsten war.

Ich war zur selben Zeit unterwegs zur Hütte des Kurt Barop. Aus Biafra hatte ich ein Bowiemesser mit dreißig Zentimeter langer, rasiermesserscharf geschliffener Klinge und einen Achtunddreißiger mit Hohlspitzgeschossen rübergerettet. Beides hatte ich eingesteckt.

Als ich die Hütte betrat, hockte der blöde Kurt auf seinem Sofa inmitten der Katzen und glotzte mich verständnislos an. Er war zwar dämlich, aber jetzt schnallte er es doch und stammelte: "Ich werds auch nicht wieder tun." Davon war ich überzeugter als er.

Was hatte mir der verrückte Katzenfan noch für eine Staffelung angeboten? Zwanzigtausend, wenn ich dem Burschen nachhaltig auf die Finger klopfte. Hunderttausend, wenn ich das Problem ein für allemale aus der Welt schaffte. Und eine glatte Million, wenn ich es so machte, daß für alle Zeiten niemand mehr auf die Idee käme, sich an den Katzen zu vergreifen.

Ich zog das Messer und warf einen letzten Blick in die jetzt vor Angst glasigen Augen meines Gegenübers. Dann machte ich mich an die Arbeit als ein Mann, der den Wert des Geldes noch zu schätzen weiß.
..........

Die Zeitung brachte es als kleine Notiz auf Seite eins und als mehrspaltigen Artikel mit Foto auf Seite drei. Die Inneneinrichtung des koreanischen Restaurants hatte es förmlich pulverisiert, ohne das irgend ein Anlieger Schaden genommen hätte. Otto verstand sein Handwerk, alles was recht war. Die Sache hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler. Der Koch der Schlitzaugen hatte am selben Abend seinen fünfunddreißigsten Geburtstag gefeiert und war so besoffen gewesen, daß er zweckmäßigerweise gleich in der Küche übernachtet hatte. Seine Überreste waren von einer solchen Beschaffenheit, daß man aus ihnen kein typisch koreanisches Gericht zubereiten konnte, höchstens ein Irish Stew. Aber das war, wie gesagt, nur ein Schönheitsfehler, und auch Otto verlangte für diese unfreiwillige Zugabe keine Mark mehr.

Nach einer Woche schellte es bei mir. Statt der befürchteten Polizei stand Deilheimers klotziger Chauffeur vor der Tür, der mir wortlos ein Paket übergab. Als er verschwunden war, machte ich den Deckel auf: eine Million in bar.

Einen Brief schrieb ich auf die Schnelle an meinen Vermieter und kündigte die Wohnung. Ein Päckchen mit Fünfzigtausend schickte ich kommentarlos an Otto. Dann steckte ich Messer und Revolver ein und schnappte mir den Karton. Damit hatte ich alles, was ich für die Zukunft brauchte. Von einem Taxikollegen ließ ich mich zum Bahnhof fahren, und der Aufenthalt von Klaus Schulze alias Peter Müller alias Hans Meier und - in diesem besonderen Fall - von Roger Martinsen in Deutschland war für immer Geschichte.
..........

Weitere vierzehn Tage waren vergangen, als Markus und Sabine um neunzehn Uhr ein Kratzen an der Tür hörten, mit dem sie nie mehr gerechnet hatten. Draußen stand der schwarze Peter, sein Fell um ein paar Macken bereichert, aber sonst gesund und munter. Im Schlepptau hatte er eine pastellfarbene orientalische Kurzhaar, die für ihren grazilen Körperbau ungewöhnlich dick war. Der Grund dafür erblickte einige Zeit später das Licht der Welt, und obwohl sie viel Arbeit machten, trennten sich die Kinder von keinem der vier Jungen. Im Moment heulten beide vor Freude aber wie auf ein Kommando los, was der schwarze Peter überhaupt nicht kapierte. Schließlich war er nur mal auf Freiersfüßen gewandelt, und dafür mußte doch sogar ein Mensch Verständnis haben.

Die Koreaner räumten sang- und klanglos das Feld und ließen sich nie wieder sehen. In ihren Räumlichkeiten soll demnächst, so heißt es, ein vegetarisches Lokal aufmachen.

Was den Kindern auffiel, als die Normalität wieder eingekehrt war, war, daß Kurt Barop verschwunden blieb, der blöde Kurt. Sie hatten in der Schule herumgefragt und auch bei den Älteren vor dem Eingang der Disco, aber niemand wußte etwas. Man hätte die Sache damit erledigt sein lassen können, aber Markus bekam das Bild von Kurts Wohnzimmer einfach nicht mehr aus dem Kopf. Also ging er eines Abends nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus, ohne Sabine einzuweihen, und rüber zu der alten Hütte. Unterwegs bedrängte ihn permanent der Gedanke, einfach umzukehren. Wer hatte was davon, wenn er weiterging und nach diesem Idioten sah? Aber das hätte seine Selbstachtung nicht zugelassen. Immerhin war er fast fünfzehn und in dieser Sache schon zweimal weggelaufen. Ein drittes Mal würde es nicht geben. Und so drückte er die Klinke runter, als sich auf sein Klopfen und Rufen niemand gemeldet hatte, und betrat das Zimmer. Er machte Licht und zwang sich sogar dann noch weiterzugehen, als er den blöden Kurt sah. Der saß zwischen seinen Katzen auf dem Sofa, nackt, die Hände auf die Knie gestützt, und starrte aus glasigen Augen vor sich hin. Kein Wunder, denn seine Augen waren aus Glas. Erst, nachdem Markus dies festgestellt hatte, bemerkte er die feine Linie winziger Kreuzstiche, die sich von der Kehle des Toten den ganzen Körper hinab zog.

Copyright Friedrich Gerhard Klimmek (1998)

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