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Alte Hausmittelchen
oder
Die letzte Domäne

"Gefällt Ihnen das Zimmer, Fräulein, ist alles so in Ordnung?" Die Hotelbetreiberin, vom Typ her eher eine Herbergsmutter, stand in der Tür und wischte sich mechanisch die Hände an ihrer Schürze ab.
Fräulein, tz, tz, ... das mir in der heutigen Zeit und in meinem Alter! Aber so redete sie höchstwahrscheinlich jede Frau an, die hier ohne Mann aufkreuzte. Sie war eben eine vom alten Schlag, wie man ihn hier zwischen Wiehengebirge und Teutoburger Wald noch in rauhen Mengen antrifft. Ich könnte wetten, das Radio in ihrer Privatwohnung war ein Nordmende Drucktastensuper mit dem magischen Auge, der trotz seiner begrenzten Leistung nicht auf den Müll geflogen war, weil er sich standhaft geweigert hatte kaputtzugehen. Hier lebten sie ungestört und in holder Einfalt, die deutschen Ausgaben der amerikanischen Backwoodsmen.

Hier lebte allerdings auch eine andere, ungleich seltenere und vom Aussterben bedrohte Spezies, emys orbicularis, die Europäische Sumpfschildkröte, und deswegen war ich hier.

Mein Name ist Erika Gilgenast, ich bin wissenschaftliche Assistentin an der Universität Münster. Und wenn ich schon einmal dabei bin, mich vorzustellen, kann ich das Bild auch rund machen. Ich bin einsachtundsechzig, wiege neunundfünfzig Kilo und bin an meinem letzten Geburtstag im Februar ... aber das lassen wir lieber, schließlich besteht die Möglichkeit, daß die Geschichte auch von einem Mann gelesen wird. Immerhin könnte selbst meine mißgünstigste Freundin nicht behaupten, daß ich auch nur einen Tag älter als dreißig aussehe. Und das ist letztlich entscheidend, nicht das, was im Ausweis steht. Da können sich meine Geschlechtsgenossinnen drehen und wenden, wie sie wollen, und auf die Machos schimpfen, sie kommen nicht daran vorbei, daß der Spruch mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthält: ein Mann ist so alt, wie er sich fühlt, eine Frau ist so alt, wie sie sich anfühlt.

Mir selber bereitete es keine Schwierigkeiten, mich mit dieser Stammtischweisheit zu arrangieren. Ich sehe zwar nicht aus wie Claudia Schiffer, aber ich bin auch keine graue Maus. Von der Figur her eine sehnige Mittelstrecklerin, hatte ich mir mit meinem dunklen Pagenschnitt und den klassischen Kostümen in gedeckten Farben bei der Männerwelt die Attribute dezent, gepflegt und apart verdient. Außerdem will ich mein Licht nicht unter den Scheffel stellen und meine intellektuelle Ausstrahlung nicht verleugnen. Alles in allem konnte ich mich über ein ausreichendes Maß an Zuspruch nie beklagen.

"Fräulein, das Zimmer? ... Fehlt Ihnen was? Sie machen so einen angestrengten Eindruck."

Die Herbergsmutter war besorgt über meine kurze geistige Abwesenheit.

"Nein, nein, alles in Ordnung. Und das Zimmer ist wirklich prima. Machen Sie sich keine Gedanken."

Das mit dem Zimmer stimmte. Das Hotel, in dem ich mich einquartiert hatte, war früher ein großer Bauernhof gewesen, der selbst in dieser rein ländlichen Gegend etwas dargestellt haben mußte. Aber im Zuge der EWG und später Europäischen Gemeinschaft wurde der deutsche Landmann entweder zu Monokulturen genötigt und damit dem schleichenden Ruin anheimgegeben, oder er sah sich gezwungen, für die Subventionen zum Lügner und Betrüger zu werden. Die Familie meiner Herbergsmutter hatte einen dritten Weg gefunden und den Hof rechtzeitig in ein Hotel umgewandelt. Dies lag zwar nicht gerade verkehrsgünstig, dafür aber ausgesprochen ruhig, und weil die Scheune so umgebaut worden war, daß sie mehrere Konferenzräume unterschiedlicher Größe beinhaltete, war der Laden schnell bei Firmen beliebt geworden, die Managerzusammenkünfte, Vertreterschulungen und ähnliches abhielten. Mit anderen Worten, der bäuerliche Lebensabend war gesichert.

Mein Zimmer lag hinten raus im zweiten Stock und ging auf eine Wiese, die zum etwa dreihundert Meter entfernten Waldrand leicht wellig anstieg, kein anderes Haus in Sichtweite. Es hatte ein eigenes WC und Dusche und verfügte über Kabelfernsehen. Als Doppelzimmer war es zum Glück mit einem französischen Bett ausgestattet. Ich hasse Besuchsritzen. Preislich war es zwar deutlich über dem angesiedelt, was ich gegenüber der Uni als Spesen abrechnen konnte, aber zum einen haben Doppelzimmer hotelintern immer die bessere Positionierung - wer ein Einzelzimmer nimmt, der will darin tatsächlich nur schlafen -, und zum anderen kann ich auf ein Mindestmaß an Komfort einfach nicht verzichten. Also sind mir meine beruflichen Unternehmungen stets eine gewisse Zuzahlung aus dem eigenen Säckel wert.

"Aber ihre Stimme gefällt mir gar nicht. Wenn sie nicht aufpassen, kann das ganz schnell zu einer bösen Erkältung werden. Wissen Sie was, Fräulein, ich werde Ihnen zum Frühstück ein Glas heiße Milch mit Honig hinstellen. Die meisten Menschen halten einen heute ja für verrückt, wenn man denen mit sowas kommt. Aber die alten Hausmittelchen sind immer noch die besten."

Da rannte sie bei mir offene Türen ein. Auch ich halte nicht viel von dem neumodischen Antibiotikakram, mit dem viel zu oft und viel zu voreilig Schindluder getrieben wird. Recht hatte sie auch mit der drohenden Erkältung. Vor ein paar Wochen, als die ersten Sonnenstrahlen dieses Jahres hervorlugten, hatte ich mich nach der Wintertristesse hinreißen lassen, mich zu dünn anzuziehen, und, um mich richtig frisch zu machen, viel zu kalt gebadet. Die Quittung war eine latente Erkältung, die im Keim zu ersticken ich mich abmühte.

"Das ist sehr freundlich von Ihnen. ... Vielen Dank fürs Wecken. Ich komme gleich zum Frühstück runter."

Sie verließ mich, um im Speisesaal alles vorzubereiten.

Es war halb sieben. Ich wollte früh raus in den Wald, um mir die möglichen Eiablageplätze anzusehen und vielleicht noch den einen oder anderen Blick auf eine Schildkröte werfen zu können, die sich mit der Morgensonne für den Tag auftankte. Danach würden die scheuen Tiere vermutlich von der Bildfläche verschwinden und erst in der Dämmerung wieder auftauchen, wenn Ruhe im Forst eingekehrt war.

Das hatte ich mir in meiner geruhsamen und vom langen Ausschlafen gekennzeichneten Studentenzeit auch nicht träumen lassen, daß ich mich einmal quasi von Schildkröten aus dem Bett werfen lassen würde. Damals lebte ich meine Emanzenzeit voll aus, studierte Geschichte und hatte ein Faible für die starken Frauen der Vergangenheit entwickelt. Ich schwärmte für Cleopatra, die das römische Weltreich zum Zittern gebracht hatte. Ich bewunderte Charlotte Corday, die eigenhändig Marat erstochen und damit den größten Bluthund der französischen Revolution eliminiert hatte. Ich verehrte Anne Boleyn, die es den Machos ihrer Zeit gezeigt hatte und sich eher köpfen ließ, als auf ihre Position als Königin zu verzichten und so erst ermöglichte, daß ihre Tochter als Elisabeth I. den englischen Thron besteigen konnte. Und es gelang mir nicht einmal, Erszebeth Bartory zu verachten, die auf ihrem Schloß Lockenhaus zur Erlangung ewiger Jugend im Blut junger Mädchen gebadet hatte, weil sie damit in eine totale Männerwelt eingebrochen war und deren absolutistische Rechte für sich reklamiert hatte.

Mit dem Herannahen des Examens verflog natürlich jede Schwärmerei, und ich mußte erkennen, daß Geschichte in ihrer Komplexität so viele für mich uninteressante Facetten enthielt, daß allein mein ohnehin abklingender Feminismus mich nicht bei der Stange halten würde. Als ich obendrein ein paar nette Männer kennenlernte und mit ihnen die Erfahrung machte, daß sie durchaus zu mehr taugten als nur als Feindbild herzuhalten, kehrte ich meinem alten Studienfach endgültig den Rücken und verschrieb mich der Biologie. Ich promovierte mit dem Thema "Wechselwirkung von Gewässerreinheit und -temperatur auf das Laichverhalten von Feuersalamandern" und bekleidete meine Stelle als wissenschaftliche Assistentin mit solchem Erfolg, daß die Erreichung der Professorenwürde in einigen Jahren durchaus machbar schien, womit auch meinem vorletzten Rest von Feminismus Genüge getan wäre.

Aber das war Zukunftsmusik. Jetzt waren erst mal die Sumpfschildkröten dran.

Ich wusch mich in aller Eile und räusperte meine Stimmbänder frei, bevor ich zwei Aspirin nahm. Heiße Milch hin, Honig her, eine kleine Unterstützung von Bayer Leverkusen konnte nicht schaden. Dann zog ich mich mit Jeans, Sweatshirt, Turnschuhen und Lederjacke für meine Exkursion zweckmäßig an und schnappte mir auf dem Weg zum Speisesaal meine Handtasche. Das Ding war als Umhängetasche konzipiert und damit zu groß, um elegant wirken zu können. Dafür war sie in der Lage, die nötigsten Dinge aufzunehmen, die ich brauchte, um mir das Leben sicher und angenehm zu machen: eine ausreichende Menge Bargeld, da ich Scheckkarten aus leicht nachvollziehbaren Gründen mißtraue; eine Polaroid-Kamera, um die Schildkrötenfundstellen aufnehmen zu können; eine Rolle mit zähem, buntem Flatterband zum Absperren und Markieren der Eiablageplätze; ein mittelprächtiges Schweizermesser mit Nagelfeile und anderen nützlichen Dingen; einen handlichen Elektroschocker mit ausreichender Voltzahl, um mir auch den zudringlichsten Verehrer und geilsten Waldarbeiter vom Leibe zu halten; und einen batteriebetriebenen Vibrator - ich hoffe, Sie denken jetzt nicht allzu schlecht von mir.

Erwartungsgemäß war ich unten der erste Gast. Außer mir war nur noch eine Kellnerin anwesend, jung, vollbusig, dümmlich, aber zugegebenermaßen gutaussehend, wenngleich auf eine etwas ordinäre Art. Sie stellte frischgefüllte Zuckerspender auf jeden Tisch und verschwand dann in der Küche.

Das Hotel war zu dieser Jahreszeit dünn belegt. Wenn sich jemand im April hier aufhielt, wollte er in erster Linie Ausspannen, und dazu gehört nun mal Ausschlafen. Deshalb war ich ziemlich überrascht, als ein Mann den Raum betrat, kaum daß ich mit meiner Mahlzeit begonnen hatte.

Ich schätzte ihn auf etwa vierzig. Mit seinen knapp einsneunzig wirkte er ausgesprochen hager. Das graudurchsetzte Haar wurde schon licht, deshalb trug er einen raspelkurzen Schnitt. Auch ohne seine randlose Brille wäre ihm eine intellektuelle Aura geblieben.

Er ließ seinen Blick über die leeren Tische schweifen, steuerte nach kurzem Zögern meinen Fensterplatz an und fragte nach einem Guten Morgen: "Entschuldigung, ist hier noch frei?"

Soviel Originalität auf nüchternen Magen haute mich um. "Wenn Sie nicht den Stuhl meinen, auf dem ich sitze, sind alle Stühle in diesem Raum gleich frei."

Sein Lächeln macht ihn um fünf Jahre jünger. "Entschuldigen Sie bitte nochmals, aber ich kann es mir einfach nicht abgewöhnen, solche stereotypen Fragen zu stellen, um zu sehen, wie unterschiedlich Leute darauf reagieren. Berufskrankheit. ... Wenn ich mich vorstellen darf, Dr. Axel Wissmann, unterbezahlter Psychologe in Diensten der Polizei."

Ich deutete auf den Stuhl mir gegenüber und sagte auch meinen Namen, ließ jedoch den Doktor unter den Tisch fallen, weil ich mir ein ansonsten unvermeidliches Kolloquium über Feuersalamander im allgemeinen und deren Laichgewässer im besonderen ersparen wollte.

Nachdem die üblichen Allgemeinplätze wie Wetter und Hotelleben in fünf Sätzen abgegrast waren, schaffte es mein selbstverliebtes Gegenüber, die Sprache auf seinen Job und die Polizei zu bringen. "Eigentlich dürfte ich es Ihnen nicht erzählen, aber wenn Sie sich als alleinstehende Frau" - der Amateurdetektiv hatte aus meinem Solofrühstück den nächstliegenden Schluß gezogen, daß ich ohne Begleitung unterwegs war - "hier in der Gegend aufhalten, dann sollten Sie vorsichtig sein."

Ich zeigte mit meinem butterbeschmierten Messer über den Raum hinweg. "Sehen Sie hier jemanden, der für mich eine Gefahr darstellen könnte, außer Sie blicken in den Spiegel?"

Diesmal lächelte er nicht. "Nein, ernsthaft. In dieser Gegend hat es in den vergangenen drei Monaten zwei bestialische Frauenmorde gegeben, die mutmaßlich vom selben Täter ausgeführt worden sind. Eine Leiche wurde bei Detmold gefunden, eine in der Nähe von Lemgo. Wir sind in diesem Hotel ganz schön nah dran."

Ich hatte davon in der Zeitung gelesen. Viele Einzelheiten hatte man, vermutlich aus ermittlungstaktischen Gründen, aber nicht preisgegeben. Nur, daß die jungen Frauen wohl das Opfer eines Sexualmörders geworden, vergewaltigt und verstümmelt worden waren. Andererseits hatte Deutschland über 80 Millionen Einwohner, da sollte die Statistik mich vor Mördern schon in Sicherheit bringen können.

Meine entsprechende Einwendung überzeugte ihn nicht. "So mögen die beiden Opfer auch gedacht haben. Sicher, die Chance, selber betroffen zu werden, ist Gott sei Dank gering, aber einen erwischt es immer, und der ist dann in einer verdammt erbärmlichen Lage."

Er schwieg so lange, wie Ordinärblondie brauchte, ihm sein Frühstück zu servieren. Dabei versuchte sie ganz offensichtlich, seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber er ignorierte sie, ignorierte sie für meine Begriffe sogar ein bißchen zu deutlich.

Seine Bemerkung hatte mich zwar kurz ins Grübeln gebracht, jagte mir aber immer noch keine Angst ein. "Ich bin nicht hierhergekommen, um einem Killer vor der Nase herumzutanzen, bis er Spaß auf mich bekommt. Ich bin nur wegen der Schildkröten hier."

Er starrte mit einem solchen Maß an Entgeisterung erst mich und dann meinen Teller an, als erwartete er, dort statt der leeren Eierschalen kleine aufeinandergetürmte Hornpanzer zu entdecken, daß ich ihm die Sache mit meinem Uni-Auftrag nicht vorenthalten konnte. Als ich an die Stelle mit meiner Suche im Wald kam, machte sich in seiner Miene ein solches Entsetzen breit, daß ich ihn zu seiner Beruhigung einfach auf meinen Elektroschocker hinweisen mußte. - Später hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Warum gab ich einem wildfremden Menschen eine Information, die ihn in die Lage versetzen konnte, eventuell ... Naja, war jetzt auch nicht mehr zu ändern.

"Sie sollten die Sache trotzdem nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das Ganze hat meiner Ansicht nach nämlich größere Ausmaße, als allgemein angenommen wird. Es ist nämlich so, daß ..." Sein Gesichtsausdruck würde plötzlich mißtrauisch. "Sie sind doch nicht etwa von der Presse und sollen mich aushorchen?"

"Mein lieber umsichtiger Doktor, bis vor einer Viertelstunde habe ich nicht einmal etwas von Ihrer Existenz geahnt. Und sehen Sie hier an mir eine Nikon hängen oder ein Tonbandgerät?"

Das brachte ihn dazu, seinen Verstand wieder zu gebrauchen, und er erzählte weiter. "Diese beiden jüngsten Leichen sind nur zwei weitere in einer Kette von zumindest vierzehn Morden, die sich in unregelmäßigen Zeitabständen, verteilt über fünf Jahre, in Niedersachsen Nordrhein-Westfalen und Bayern ereignet haben. Ich bin fest davon überzeugt, daß sie von ein- und demselben Täter stammen. Und ob diese Vierzehn schon alle sind, wage ich zu bezweifeln. Es gibt sicherlich etliche Leichen, die gar nicht entdeckt worden sind. Und was in der Zeit vor den fünf Jahren, als ich in Dienst gegangen bin, passiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Mögliche frühere Morde wurden höchstwahrscheinlich als unzusammenhängende Einzeldelikte abgehakt. - Wenn meine Theorie stimmt, werden die Intervalle zwischen den Taten immer kürzer. Der Täter hat aus irgend einem unbekannten Grund erhöhten Handlungsbedarf und sich auf diese Gegend konzentriert. Deshalb kann ich es nur jeder jungen Frau dringend raten: seien Sie vorsichtig."

Nun hatte er es endlich geschafft, meine Neugier zu wecken. "Sie sprachen da gerade von einer Theorie. Was hat das zu bedeuten? Und wieso können Sie so landesübergreifend tätig werden?"

Er rang kurz mit sich, allerdings wirklich nur kurz. Mochte er in zweiter Linie Polizeipsychologe sein, in erster Linie war er jedenfalls Mann und damit allzeit bereit, sich vor einer jüngeren Frau durch die Herausstellung seiner eigenen Bedeutung in das zu rücken, was Männer für das rechte Licht halten.

"Nun habe ich Ihnen schon so viel erzählt, dann kann ich auch die ganze Geschichte zu Ende bringen. - Alle Opfer waren junge, attraktive Frauen."

Mein "Wie schmeichelhaft für mich, daß Sie mich zum potentiellen Opferkreis zählen." unterbrach ihn nicht. Die Ernsthaftigkeit der Sache hatte bei ihm die Oberhand gewonnen.

"Ihre Leichen wurden immer an einsamen Gewässern in abgelegenen Waldgebieten gefunden. Ihre Augen waren ausgestochen, die Brüste ab- und der Uterus herausgeschnitten. Die Kehle war aufgeschlitzt. Fast wie bei Jack the Ripper, als er sich beim Kelly-Mord so richtig aufgeschaukelt hatte."

Von Jack the Ripper kannte ich nur den Namen, von einem Kelly-Mord wußte ich nichts. Aber womöglich wußten es andere, und daß konnte ein Knackpunkt dieses Falles sein. "Wenn es so etwas ähnliches schon früher gegeben hat, wieso können Sie dann sicher sein, daß Sie es in allen Fällen mit demselben Täter zu tun haben?"

"Gute Frage, aber es gibt ein unwiderlegliches Indiz, das wir immer aus den Medien herausgehalten haben. Alle Opfer sind vor ihrem Tod vaginal und anal mißbraucht worden, und zwar, und das ist das allerwichtigste daran, ohne daß jemals Sperma aufgefunden wurde."

Das machte die Sache auch und gerade für eine Biologin wie mich interessant. "Ein impotenter Vergewaltiger? Oder etwa ein Lustmörder, der so vorsichtig ist, daß er ein Kondom benutzt? Kann es sowas tatsächlich geben?"

Wissmann nickte nachdrücklich. "Das kann es. Ein Lustmörder will andere umbringen, nicht sich selber. In der heutigen Aids-Zeit werden selbst Sexualmörder vorsichtiger. Ich tippe allerdings auf einen anderen Tätertyp, und ich bin mir da ziemlich sicher. Deshalb hat man mich ja auch vom BKA geholt, um ein Täterprofil zu erstellen. Entweder ist es ein Mann, dem die Samenleiter durchtrennt worden sind. Das war ja eine Zeit Mode bei Kerlen, die schon genug Kinder in die Welt gesetzt hatten, keinen weiteren Unterhalt mehr zahlen wollten, oder deren Frauen die Pille nicht vertrugen. Oder der Bursche ist sogar kastriert, vielleicht als vorbestrafter Sexualtäter, der anders keine Chance mehr auf Freilassung gesehen hat. Selbst die können es bei einer Überdosierung entsprechender Medikamente noch zu einer Erektion bringen."

Er nahm einen Schluck Kaffee und schob den leeren Teller von sich weg. "Nicht gerade das schicklichste Frühstücksthema, was? Aber als Biologin müssen Sie ja einiges gewöhnt sein, zumindest noch aus der Studienzeit."

Er lehnte sich zurück und wurde nachdenklich. "Tja, was ist er nun für ein Typ, unser Serienkiller. Nicht mehr ganz jung, meine ich. Ich glaube, es ist der mit den durchtrennten Samenleitern, war also verheiratet und hat mehrere Kinder. Sowas braucht Zeit. Deshalb wird er Mitte dreißig bis Anfang vierzig sein. Wäre er älter, würde ihn die Sache schon wieder kalt lassen. Er muß von seiner Frau enttäuscht worden sein. Hat sich ihretwegen sterilisieren lassen und sie will jetzt nichts mehr von ihm wissen, hat wohl einen anderen. Er sticht ihr in seinen Opfern immer wieder die Augen aus, damit sie keinen anderen Mann mehr ansehen kann. Er schneidet ihr die Brüste ab, damit ein anderer Mann sich nicht daran vergnügen kann und sie für andere unattraktiv wird. Er schneidet ihr den Uterus heraus, damit sie keinem anderen Mann Kinder schenken kann. - Ein Handelsvertreter könnte passen, der mit seinem Wagen mobil ist und in verschiedenen Bundesländern zu tun hat."

Die Kellnerin tauchte auf, um abzuräumen. Dabei ließ sie ihre prallen Sahneballen länger als nötig und viel zu dicht vor den Augen meines Gesprächspartners schweben. Der war aber intelligent genug zu wissen, daß sie irgendwann unweigerlich dem Gesetz der Schwerkraft folgend zu Quarktaschen würden, und schenkte mir weiterhin seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Schönheit vergeht, Attraktivität besteht.

Statt in Blondies Ausschnitt blickte Wissmann auf seine Uhr und erhob sich im selben Moment. "Oh, verflixt spät. Ich muß nach Lemgo zum Treffen mit der Sonderkommisssion. - Seh ich Sie heute abend noch? Wir könnten uns dann weiter unterhalten."

Ich hatte meinen Mund mit einem Brötchenbissen verstopft und konnte ihm nur zunicken. Er war schon halb auf der Treppe, als er noch einmal zurückkam und mir in gedämpftem Ton, der nicht in der Küche gehört werden konnte, anbot: "Wenn Sie unbedingt wegen Ihrer Viecher in den Wald müssen, warten Sie auf mich. Ich werde Sie begleiten." Dann war er verschwunden.

Blondie erschien erneut, um auch mein Geschirr abzuräumen. Sie hatte mich als überlegene Konkurrentin im Kampf um die Männergunst identifiziert und wollte mich ihren Neid spüren lassen. Als sie das Tablett auf dem Tisch vor mir lange genug hin- uni hergeschoben hatte, ohne es zu schaffen, mir den Rest Kaffee über die Hose zu kippen, konnte sie sich die Bemerkung nicht verkneifen: "Sie haben da Dreck auf Ihrer Jacke."

Der Dreck war senffarbener Staub von der Azalee, die dicht neben mir auf dem Fensterbrett stand und an die ich mehrfach mit der Schulter gestoßen war. "Mehltau", konstatierte ich. "Sie sollten mal eine Zigarre rauchen, den Stummel in Wasser auflösen und mit der Brühe die Pflanze einsprühen, dann wird sie wie neu." Sie glotzte mich an wie eine Kuh, deren Melker zu kalte Hände hatte. Eine gute Gelegenheit, meine vorhin neuerlernte Weisheit unters Volk zu bringen. "Ich weiß, daß die meisten Leute einen für verrückt halten, wenn man denen mit soetwas kommt, aber die alten Hausmittelchen sind immer noch die besten."

Sie verschwand kommentarlos unter Porzellangeklapper in der Küche.

Aus dem Fenster sah ich, wie sich ein 3er BMW in Richtung Bundesstraße entfernte. Am Steuer saß Wissmann, auf dem Weg zu seiner Sonderkommission, um mit ihr das Sherlock-Holmes-Spiel zu spielen.

Ich war mittlerweile selber spät dran, doch in dem Moment, als ich aufbrechen wollte, betrat ein anderer Mann den Raum, der genauso zielgerichtet wie sein Vorgänger meinen Tisch ansteuerte. Auch er entbot mir einen Guten Morgen und setzte sich ungefragt auf Wissmanns Platz. Beide zusammen hätten wie Pat und Patachon gewirkt. Obwohl er nur wenige Zentimeter größer war als ich, brachte er bestimmt ein paar Kilos mehr auf die Waage als Wissmann. Die vollen Haare hatte er streng über den runden Schädel zurückgebürstet, was mich vermuten Ließ, daß er diese Frisur seit seiner Schulzeit nicht verändert hatte. Er hatte das fröhliche, von winzigen geplatzten Adern durchzogene Gesicht eines erfolgreichen Winzers, was es schwer machte, sein Alter zu schätzen. Ich ging von rund fünfzig aus.

Er legte seine kurzen, kräftigen Hände flach vor sich auf den Tisch, als müßte er sich darauf abstützen, und eröffnete das Gespräch mit der Anweisung: "Trauen Sie diesem Wissmann nicht!"

Das schien mir ja ein heiterer Tag zu werden. "Und wer sind Sie, daß Sie mir so unverhofft den Vorzug Ihrer Gesellschaft aufdrängen und profunde Ratschläge erteilen?"

"Mein Name ist Kowalewski." Er streckte mir eine Karte entgegen, die sich nach Examinierung als polizeilicher Dienstausweis herausstellt, der ihn als Oberkommissar outete. Damit war in diesem unserem Lande klargestellt, wem von beiden ich pflichtschuldigst mein Vertrauen zu schenken hatte.

"Das ist ja alles schön und gut, Herr Kowalewski, aber auch, wenn es sich Männer kaum vorstellen können: selbst Frauen müssen gelegentlich arbeiten und dabei Termine einhalten. Wenn es also nicht brandeilig ist, sollten wir unsere Unterredung besser auf den Abend verschieben."

Die stoische Ruhe, mit der er schweigend sitzen blieb, Dokumentierte unmißverständlich, wer hier die Zeiteinteilung vornahm.

Mit einem Seufzer lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme über der Brust. "Also dann ... ich höre."

"Sagen Sie mir zuerst, wie er sich vorgestellt und was er Ihnen für eine Geschichte aufgetischt hat. - Glauben Sie mir, es ist wichtig."

Na gut, wenn ich ihm so preiswert einen Gefallen tun konnte. Ich bemühte mich, das Gespräch von vorhin so genau wie möglich zu rekapitulieren. Kowalewski unterbrach mich nicht und rührte sich erst wieder, als ich fertig war.

"Hm, da hat er Ihnen ja einen gelungenen Mix aus Dichtung und Wahrheit serviert. Dabei ist das eigentlich Interessante das, was er weggelassen hat. Es ist schon richtig, daß ihn uns das BKA geschickt hat. Aber er ist kein fester Mitarbeiter von denen. Er hat sich denen mit der Behauptung angedient, da sei eine Mordserie in Gang. Das muß so vor fünf Jahren gewesen sein. Wenn er Ihnen jetzt erzählt, seither hätte es 14 Morde vom selben Täter gegeben und von Opfern vorher wüßte er nichts, wie konnte er dann schon vor fünf Jahren beim ersten, nennen wir ihn mal offiziellen Mord wissen, daß es eine Serie geben würde? - Ich hab ihn selber erst vor einem Jahr kennengelernt und weiß natürlich nicht, wie das vor fünf Jahren genau gelaufen ist. Das läßt sich auch jetzt nicht mehr mit letzter Sicherheit herausbringen. Aber ich trau dem Typen nicht über den Weg. Ganz im Gegenteil, ich finde seine Theorie vom Serienkiller besser, als gut für ihn sein könnte."

"Wollen Sie damit etwa zaghaft andeuten, daß sie einen promovierten Psychologen von BKA-Gnaden für einen impotenten Serienlustmörder halten, der sich selber jagt? Das ist doch absurd! Und warum soll er überhaupt, wenn er doch prima im Verborgenen hätte weiterwerkeln können, durch seine Anbiederei die Polizei mit der Nase draufstoßen?"

Diese aus meiner Sicht höchst berechtigten Zweifel machten ihn nicht im mindesten unsicher. "Ich will gar nichts andeuten und schon gar nichts behaupten. Aber man hat schließlich oft genug davon gehört, daß Psychiater manchmal noch verrückter sind als ihre Patienten. Und Psychiater, Psychologe, Psychotherapeut, das ist doch alles nur eine Brut. Und denken Sie auch mal an die Feuerwehrmänner, die alle Jahre wieder mit schöner Regelmäßigkeit in der Presse auftauchen, weil sie selber die Brände gelegt haben, nur um ihr Talent unter Beweis stellen zu können. - Wie auch immer, seien Sie vorsichtig."

Damit stand er auf und ging ohne Verabschiedung. Minuten später sah ich ihn in einem Vectra in dieselbe Richtung verschwinden wie Wissmann.

Na toll. Ein Oberkommissar warnte mich vor einem Polizeipsychologen, den er mehr oder minder offen für die deutsche Version von Hannibal Lecter hielt. Und wäre der Psychologe jetzt hier, hätte er mich bestimmt vor dem Kommissar gewarnt. Meinetwegen. Aber vorsichtig würde ich sein, das war ich immer schon gewesen.

Als hätte sie meine Gedanken lesen können, sprach mich die Herbergsmutter an, deren Herannahen ich gedankenversunken überhört hatte. "Fräulein, ich hab gesehen, mit wem Sie sich unterhalten haben. Die haben Ihnen bestimmt auch das von dem Mörder erzählt. Ist das nicht schrecklich? Passen Sie bloß gut auf sich auf. Und das mit den Schildkröten vergessen Sie lieber. Oder warten Sie wenigstens, bis einer mitgeht. Vielleicht finden Sie ja jemanden, dem man trauen kann. Hier, unser Lukas zum Beispiel, der im Haus mit aushilft, der könnte mitgehen, wenn Sie wollen."

Nein danke. Ich hatte diesen Lukas schon gesehen, ein unterbelichtetes Urviech, das nicht so aussah, als hätte es an jedem Finger zehn Anbeterinnen. Auch wenn kein Mörder in der Nähe wäre, mit diesem Lukas allein im Wald wäre es gefährlich genug. "Das ist sehr lieb von Ihnen, danke. Aber ich kann ganz gut alleine auf mich aufpassen. Schließlich bin ich ja ein großes Mädchen."

Ich sah ihr an, daß ich ihre Bedenken nicht zerstreut hatte. Als sie merkte, daß ich nicht umzustimmen war, ging sie mit einem Kopfschütteln wieder an die Arbeit..

Endlich konnte ich mich auf den Weg machen. Ich kletterte in meinen alten Opel Caravan und fuhr damit über eine schmale Asphaltstraße, die kaum Gegenverkehr zugelassen hätte, rumpelte weiter über noch schmalere Schotterwege, balancierte den Wagen anschließend auf den Rändern ausgefahrener Traktorenspuren in den Wald hinein, bis es schließlich nicht mehr weiterging und ich den letzten halben Kilometer zu Fuß zurücklegen mußte.

Die Karten, die man mir in Münster mitgegeben hatte, waren ziemlich genau, und ich fand die Teiche auf Anhieb. Ein bißchen mulmiges Gefühl beschlich mich schon nach den Ereignissen beim Frühstück, wie ich hier so mutterseelensolo in der Einsamkeit stand. Aber was konnte mir schon gefährlich werden, wo Wissmann und Kowalewski weit weg waren und sich wechselseitig in Schach hielten?

Für eine Schildkrötenbesichtigung war es natürlich zu spät. Deshalb fotografierte ich nur die Stellen, die ich für am aussichtsreichsten hielt, und markierte den meiner Ansicht nach meistversprechenden Eiablageplatz mit einem Stück Flatterband. Mehr war gegenwärtig nicht tun.

Um die Zeit bis zum Abend totzuschlagen, fuhr ich nach Lemgo und sah mir die Stadt an. Unter anderem besuchte ich auch das alte Hexenbürgermeisterhaus und beglückwünschte mich insgeheim dazu, in einer Zeit zu leben, in der man sich nicht auf die bloße Denunziation mißgünstiger Nachbarn hin auf dem Scheiterhaufen wiederfinden konnte.

Der Nachmittag ging so schnell um, daß es sich für mich nicht mehr lohnte, vorher noch ins Hotel zu fahren. Also steuerte ich direkt wieder den Schildkrötenplatz im Wald an.

Ich war noch auf dem Schotterstück, als ich die junge Frau sah, die ein Fahrrad schob. Beim Näherkommen erkannte ich Ordinärblondie aus meinem Hotel. Als ich auf gleicher Höhe war, hielt ich an.

Zuerst hatte sie das Fahrrad wie ein Schutzgitter zwischen sich und das Auto gehalten, und man merkte ihr an, daß sie sich fürchtete. Erst, als sie mich als weiblich und obendrein als ihr bekannten Hotelgast identifizierte, wich die Anspannung einer offenkundigen Erleichterung. Die Rivalität von heute morgen war ausgelöscht. Sie war heilfroh, in der hereinbrechenden Dämmerung nicht alleine zu sein, und brachte sogar ein Lächeln zustande.

"Puh, ist das gut, daß Sie da sind! An dem Scheißding ist ein Reifen geplatzt. Ich schieb es jetzt bestimmt schon einen Kilometer. - Ich hab nur eben meinen Freund besucht, und mit der Abkürzung durch den Wald hätte ich es immer rechtzeitig zur Abendschicht geschafft, aber dann das hier." Sie zeigte dabei auf den zerrissenen Reifen, der sich schon halb von der Felge gelöst hatte.

"Aber selbst wenn das nicht passiert wäre, haben Sie denn gar keine Angst, so alleine hier herumzuradeln?"

"Ach, Sie meinen die Geschichte von dem Mörder und so? Das ist doch alles Quatsch. Nur wegen der zwei in Detmold und Lemgo ... ich könnte wetten, in ein paar Tagen stellt sich raus, das waren Freunde von denen, ein paar Bekloppte, die sauer waren, weil die sich nen andern Typ gesucht haben, irgend sowas. Serienmörder, hier, nee, höchstens im Kino. - Naja, wie ich eben so Ihr Auto hab kommen sehen, da kriegt man schon Bedenken. Aber Sie sehn ja selber, war alles nur Unsinn. - Wär nur schön, wenn Sie mir mit dem Ding hier helfen könnten."

"Na klar. Kommen Sie, wir packen es hinten rein. Sie müßten mich allerdings noch ganz kurz zu dem Schildkrötenplatz begleiten, damit ich wenigstens noch ein oder zwei Tiere aufnehmen kann, sonst habe ich einen ganzen Tag verloren."

"Kein Problem, mit Ihrem Wagen sind wir ja sowieso viel schneller wieder da."

Wir verstauten das Fahrrad und fuhren gemeinsam bis zu der Stelle, an der ich auch heute früh das Auto hatte stehen lassen. Sie hatte während der kurzen Fahrt ganz forsch drauflosgeplaudert. Als es nun aber darum ging, im Wagen allein auf meine Rückkehr zu warten, war sie nur zu gerne bereit, mich zum Teich zu begleiten. Ich konnte ihre Gefühle nachvollziehen und willigte ein, sie mitzunehmen, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie sich mucksmäuschenstill verhielte und die Tiere nicht erschreckte.

Die letzten Meter legten wir fast auf Zehenspitzen zurück. Am Ufer saßen zwei Tiere mit einer Panzerlänge von fast zwanzig Zentimetern. Ich nahm vorsichtig meine Schultertasche ab und drückte sie Blondie, die übrigens Nadine hieß oder sich jedenfalls so nannte, in die Hand, während ich ihr zuflüsterte: "Hier, halten Sie die mal offen. Ich muß die Kamera rausholen und schnell ein paar Bilder machen."

Nadine war von meinem Pirschverhalten angesteckt und streckte mir die offene Tasche entgegen, die Augen unverwandt auf die Reptilien gerichtet. Ich nahm den Elektroschocker heraus, preßte ihn gegen ihren Bauch, und ließ sie in sekundenschnelle in eine vollkommene Bewußtlosigkeit hinüberzucken.

Während ich mich splitternackt auszog, um keine Spuren an meinen Sachen zu hinterlassen, mußte ich an meine unbedachte Bemerkung beim Frühstück über den Elektroschocker denken. Hoffentlich hatte ich Wissmann nicht auf die Idee gebracht, meine Opfer in Zukunft entsprechend untersuchen zu lassen. Danach entkleidete ich auch Nadine. Dann fesselte ich ihr mit dem reißfesten Flatterband, das ich mit dem Schweizermesser zurechtschnitt, die Hände auf den Rücken, und befestigte in ihrem Mund mit einem weiteren Streifen den Knebel, den ich aus ihrer Strumpfhose und ihrem Slip zusammengedreht hatte.

Nun begann die eigentliche Arbeit. Ich holte den Vibrator aus meiner pandoranische Umhängetasche und bearbeitete damit ausgiebig und brutal Vorder- und Hintereingang meines Opfers. Mein treuer elektrischer Freund tat sich auch in dieser Situation wohltätig hervor und schlug zwei Fliegen mit einer Klappe: er bereitete meiner blonde Radlerin einen letzten irdischen Genuß und er deutete, was mir viel wichtiger war, mit den Vergewaltigungsblessuren klar auf einen männlichen Täter hin.

Nadine, auf diese Weise schmerzhaft in die Realität zurückgeholt, schlug die Augen auf. Als ich an die Unverschämtheit mit dem Mehltau auf meiner Jacke dachte, erwog ich für einen Augenblick, zur Strafe meine übliche Reihenfolge zu ändern und ihr zuerst die Augen auszustechen. Letztlich überwog aber dann doch die weibliche Solidarität, und nachdem ich sie einige Sekunden lang ihre Angst hatte auskosten lassen, erlöste ich sie, indem ich ihr mit der rasiermesserscharf geschliffenen Klinge meines Messers die Kehle durchschnitt.

Der Rest war Routine. Wie meinen dreiundzwanzig Opfern zuvor stach ich ihr die Augen aus, schnitt ihr die Brüste ab und den Uterus heraus. Sie erinnern sich an die klugen Anmerkungen des Herrn Dr. Wissmann? Er hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen - viel Spaß bei der Suche nach dem reisenden Handelsvertreter.

Ich machte noch schnell einige Erinnerungs-Polaroids für meine private Sammlung und mußte mich dann beeilen, bevor sie zu viel Blut verlor. Mit einem Reisebecher, ebenfalls aus meiner praktischen Tasche, fing ich so viel von dem kostbaren Lebenssaft auf wie möglich und übergoß mich damit. Ich machte so weiter, bis sie ausgeblutet war. Ich würde alles fünf Minuten lang einziehen lassen und dann die Reste im Teich abwaschen. Früher hätten ein paar Becher voll für ein Jahr genügt, aber ich wurde älter, und deshalb brauchte ich die Kur in immer kürzeren Abständen. Ich bin sicher, daß einen die meisten Leute heutzutage, und vielleicht sogar auch Sie, für verrückt halten, wenn man auf die überkommenen Methoden schwört, aber die alten Hausmittelchen sind die besten. Mir hatten sie doppeltes Glück gebracht. Mit meinen Taten hatte ich den extremsten Teil meines Feminismusses befriedigt. Ich war in die letzte Domäne der Männerwelt eingebrochen, hatte ihre allerletzte Bastion geknackt, den Sexualmord an Frauen. Und ich hatte mir, Erszebeth Bartory sei Dank, das Geheimnis der ewigen Jugend erschlossen. Mögen Sie über mein altes Hausmittelchen auch die Nase rümpfen, bedenken Sie bitte eines: ich bin schon zweiundsechzig.

Copyright Friedrich Gerhard Klimmek (1998)

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